Alte sind Millionen wert

Das Haushaltsnotlageland Bremen entdeckt alte Menschen als Wirtschaftsfaktor. Das Sozialressort weiß das längst, aber will jetzt den Rest per Gutachten überzeugen. Indes stockt ein zukunftsweisendes Projekt in Schwachhausen

1,8 Millionen Euro gehen Bremen jährlich durch die Lappen – soviel Geld bekäme das Land aus dem Länderfinanzausgleich, wenn rund 600 Bremer weiterhin in Bremen leben würden. Tun sie aber nicht, und damit nicht genug – für diese 600 Menschen zahlt Bremen auch noch drauf. Denn es sind alte Menschen, die in Pflegeheimen in Oyten, in Ritterhude oder anderweitig umzu leben.

Die Ex-Bremer kosten die Stadt Geld, denn sie beziehen Leistungen vom Sozialamt – Pflegeplätze sind teuer, das Sozialamt muss zuschießen. 500 bis 800 Euro pro Nase und Monat, so lautet eine grobe Schätzung aus dem Sozialressort. Macht irgendwas zwischen 3,6 und 5,7 Millionen Euro im Jahr. Dass nach wie vor die Bremer Sozialkasse zuständig ist, obwohl die Bezieher nicht mehr hier leben, liegt am Bundessozialhilfegesetz, das Orte wie beispielsweise Bethel mit seinen zahlreichen Angebote der Behinderten- oder Altenhilfe vor einer Überlastung der Sozialkassen schützt.

Noch ein dritter Faktor belastet Bremen. Bisher zahlte das Land, in dem der Pflegebedürftige lebt, einen Zuschuss namens „Pflegewohngeld“. Niedersachsen tut das seit Anfang dieses Jahres nicht mehr, so dass Bremen auch hier für die Ex-Bremer in die Bresche springen muss. Mit immerhin drei Millionen Euro pro Jahr. „Neu motiviert“ sei das Ressort seither, dem Thema beizukommen, gesteht Karl Bronke, zuständiger Abteilungsleiter, mehr noch: Man sei „ganz schön nervös.“

Bremen müsste natürlich all das auch zahlen, wenn die 600 Pflegefälle wieder hier wären – aber immerhin, die 1,8 Millionen aus dem Länderfinanzausgleich wären dem Land sicher und es würde überdies den heimischen Dienstleistungssektor stärken. „Wir wollen aber diese Menschen nicht aus ihren Zusammenhängen herauslösen“, betont Karl Bronke, aber alle die, die folgen könnten, sollen die Möglichkeit haben, hier zu bleiben. Das sind eine ganze Menge: Zur Zeit leben rund 47.000 Menschen in Bremen, die über 75 sind – in acht Jahren werden es schon 49.000 sein. Noch drastischer wird das Bild, wenn man von den Menschen ab 60 ausgeht. Das sind derzeit rund 135.000, in acht Jahren bereits 140.000. Sämtlich Menschen, die so lange wie möglich selbstständig und in ihrem gewohnten Zuhause bleiben wollen. Ein Markt, um den man sich kümmern sollte, findet das Sozialressort. Ein Gutachten soll jetzt die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen einer altenfreundlichen Stadt, vulgo: den Arbeitsplatzfaktor, untersuchen. Denn nicht alle Ressorts scheinen dieses Potenzial zu erkennen.

Wie sehr hier wohl einer dem anderen auf den Füßen steht, wird deutlich an einem Projekt in Schwachhausen. Auf dem Gelände der Schule Lothringer Straße möchte die Bremer Heimstiftung ein Stiftungsdorf errichten – ein Projekt, in dem Jung und Alt zusammenwohnen und wo überdies die vielen Nutzungen der seit zwei Jahren leerstehenden Schule erhalten bleiben sollen. „Wir würden sofort beginnen“, sagt Alexander Künzel, Vorstand der Heimstiftung. Das Grundstück würde sie zum Verkehrswert kaufen. Die Heimstiftung hat zwar das Sozialressort auf ihrer Seite, nicht aber das Finanzressort, das aus dem Grundstück gern mehr Geld herausschlagen möchte. Immerhin soll Ende des Jahres die Ausschreibung für das Grundstück stehen – und auf die soll das Konzept der Heimstiftung passen. „Ein zäher Prozess“, resümiert Schwachhausens Ortsamtsleiter Werner Mühl.

Für Alexander Künzel ist dieses Projekt nur ein Ausblick auf eine Diskussion, die erst noch beginnen werde. Die privaten Umland-Heime seien oft billiger als Bremer Heime mit ihren vergleichsweise hohen Standards. Aber alles in allem, sagt Künzel, geht es darum, „die intelligentere Alternative zu Heimen“ zu finden. Susanne Gieffers