Im privaten Erbsenuniversum

Zwei Berliner Opernpremieren: „Die Nase“ mit Musik von Dmitri Schostakowitsch und Ausstattung und Bühnenbild von Jörg Immendorff in der Staatsoper. Und Zemlinskys Einakter „Eine florentinische Tragödie“ und „Der Zwerg“ in der Komischen Oper

von BJÖRN GOTTSTEIN

Opernseliges Berlin. Am Wochenende konnten gleich zwei der um ihre Existenz bangenden Opernhäuser ihren künstlerischen Offenbarungseid in Form einer Premiere leisten. Am Samstagabend hievte man Schostakowitsch auf die maroden Bühnenbretter der Staatsoper. Die Komische Oper legte am Sonntag mit zwei Einaktern des ewig verkannten Alexander Zemlinskys nach. Man hatte sich diesmal also in beiden Häusern nicht für Moccini oder Puzart entschieden, sondern für Werke, deren Tauglichkeit zum Klassiker man viel zu selten überprüft.

Die Staatsoper ist gewiss das extravagantere der beiden Häuser. Hier überlässt man die Regie auch schon mal gern fachfremder Prominenz, zum Beispiel Filmregisseuren. Das riecht dann oft ein wenig nach PR-Strategie. Aber man will eben auch etwas von der Gattung Oper und gibt sich mit dem handwerklichen Status quo nicht einfach so zufrieden. Für die Neuinszenierung der Oper „Die Nase“ (1928) hatte man den Künstler Jörg Immendorff um Ausstattung und Bühnenbild gebeten, wohl wissend, dass dieser zu einer alles vereinnahmenden Egozentrik neigt. So kam, was kommen musste: „Die Nase“ wurde eine große Jörg-Immendorf-Show.

Das ist ärgerlich, denn so gingen Stoff und Substanz des Werkes verloren. Da ist Nikolai Gogols groteske Geschichte vom Mann, dem seinen Nase abhanden kommt. Das Geruchsorgan weigert sich in das Gesicht des eitlen Majors zurückzukehren und verursacht stattdessen öffentliche Aufruhr. Diese absurde Handlung hätte gewiss Anlass zu einer zwischen Symbolismus und Kulturgeschichte angesiedelten Interpretation geboten. Stattdessen erklärt Immendorff, die Nase, das sei die Kunst, und verlegt darob die gesamte Geschichte in sein privates Erbsenuniversum.

Da ist überdies Dmitri Schostakowitschs verwegene Opernmusik, die erahnen lässt, welche künstlerischen Energien in Russland durch die Oktoberrevolution freigesetzt wurden und wie eine sowjetrussische Avantgarde ohne den bleiernen Mantel stalinistischer Biederkeit hätte aussehen können. Mal galoppiert das Orchester mit seinem massiven Schlagwerk in die Massenhysterie. Dann wieder überzeichnet die Musik die Handlung mit comichaften Soundeffekts: Der Schwung eines Rasiermessers beispielsweise wird von den Streichern karikiert. Aber das bleibt dem Besucher der Staatsoper leider unverständlich, denn die Rasierszene ist zugunsten der Immendorff’schen Selbstdarstellung gestrichen, und deshalb gleiten die Finger der Streicher scheinbar unmotiviert über ihre Griffbretter. Stattdessen wird man also Zeuge eines abgeschmackten Prominentenratens: In schrillen Kostümen stolpern George W. Bush, Joseph Beuys oder der Kunstsammler Peter Ludwig über die Bühne. Das bleibt alles sehr zusammenhangslos oder wird zumindest so mit möglichen Referenzen zugestellt, dass sich ein Bild nicht ergeben kann. Fazit: Vorstellung besuchen, aber Augen schließen.

Die Komische Oper dagegen vertritt eher die Konvention. Hier wird die Gattung nicht grundsätzlich infrage gestellt. Dem Regisseur steht es frei, die Partitur auszuleuchten und behutsam zu aktualisieren. Diese Premiere nun führte Vor- und Nachteile einer derart verhaltenen Strategie vor Augen. Zemlinskys Einakter „Eine florentinische Tragödie“ (1916) und „Der Zwerg“ (1921) sind zwei tragikomische Szenen nach Geschichten von Oscar Wilde. Ein undurchsichtiges Psycho-Ehedrama hier, eine grausam verspieltes Märchen dort. Im Mittelpunkt der Werke stehen ein betrogener Ehemann respektive ein unglücklich verliebter Zwerg, die sich singend an ihrer Zerrissenheit abarbeiten. Die Szenerien entfalten sich vor dem Hintergrund vollmundiger, süffiger Partituren, die an manchen Stellen die dramatische Schmacht der Hollywood-Orchester vorwegnimmt. Aber in den entscheidenden Momenten tritt Zemlinskys Musik zurück, so dass Spannung vor allem in sengenden negativen Höhepunkten entsteht.

Als Liebhaber der Oper kommt man hier voll auf seine Kosten; die Solisten führen die Konflikte stimmlich wunderbar aus, auch wenn Müllers Zwerg manchmal ein wenig zu glatt und gut geölt gerät. Die Regie bleibt allerdings hinter der musikalischen Dramatik zurück. Zwar sind die beiden Regiekonzepte von Andreas Homoki einfallsreich und stimmig. Aber einen Schlüssel, der die Geschichten zur Parabel erhöbe und erklärte, warum diese Werke heute des Spielens wert sind, hat Homoki nicht zur Hand. Die ästhetische Legitimation, sie obliegt der Musik.