Rom, Knicke

Liebeskranker Bildungsbürger: Hans-Ulrich Treichel erzählt in „Der irdische Amor“ aus dem schwärmerischen Leben eines angehenden Kunsthistorikers und netten Trottels

„Er sah sich in weißen Leinenhosen und mit Strohhut auf einer Terrasse sitzen“

Albert ist arm dran. Er weiß es, und wir ahnen es. Sicher sind wir uns jedoch nicht, obwohl wir ihn zwölf Kapitel lang in Hans-Ulrich Treichels „Irdischem Amor“ begleiten. Einen ganzen, schweren Kreuzweg durch das Leben gehen wir mit dem Kunstgeschichtsstudenten, sehen, wie er von einem Studienaufenthalt in Rom nach Berlin zurückkehrt, wie er sich dort in Elena verliebt, ihr in ihre Heimat Sardinien folgt und schnell wieder nach Hause fährt. Und am Ende wissen wir immer noch nicht, was Albert denn nun ist: ein moderner Parzival oder ein vollkommener Trottel, ein Held der Liebe oder ein Albert, wie er im „Werther“ steht: irgendwie am Ziel, aber trotzdem ausgeschlossen.

Albert hat nämlich keine Peilung. Albert findet, glaubt und geht davon aus, er weiß nicht oder kennt aus Filmen. „Poveretto“, sagt Elena eines Tages zu ihm, als sie sich eben auf einer Parkbank geküsst haben, armes Kerlchen. „Albert war sich nicht sicher, ob Elena ihn mit einem Kosewort oder mit einem Fußtritt verabschiedet hatte. Ob ihr gemeinsames Erlebnis im Tiergarten der Anfang oder bereits das Ende einer Liebesbeziehung war, wusste er ebenfalls nicht.“ – „Der irdische Amor“ ist personale Erzählweise in Reinform. Alles delegiert an dieses arme Kerlchen Albert, das einzig Sichere ist seine Unsicherheit. Und sein Ausgeschlossensein, vor allem was die Frauen angeht.

Nicht weniger unglücklich als mit sexy Elena (Helena, der Schönen) verlaufen Alberts Begegnungen mit Katharina (der Reinen) oder Klara (der Klaren) aus Westfalen. Dann sind da noch eine Frau im Schwimmbad, die nicht mit Albert Kaffee trinken gehen will, und eine römische Polizistin, die ihn „Cretino“ nennt. Nur eine Prostituierte ist wirklich nett zu Albert, „eine ceylonesische Unschuld vom Lande“, die ihn vor Taschendieben warnt – aber kaum hat sich Albert versehen, steckt unter dem Sari ein Mann, und das Geld ist auch weg.

Albert hält sich trotzdem tapfer. Caravaggios Gemälde „Amor als Sieger“ ist Gegenstand eines Referats, das er, der irdische Amor, an der Uni hält, über ein anderes Werk will er auf Sardinien arbeiten: „Er wurde geradezu euphorisch bei der Vorstellung, einen neuen Lebensabschnitt auf der Mittelmeerinsel zu beginnen. Er sah sich in weißen Leinenhosen und mit Strohhut auf einer Terrasse sitzen und über Caravaggios ‚Ungläubigen Thomas‘ schreiben.“

So sucht Amor Albert den Assistenten seines Professors auf, um über das Thema zu sprechen – und Schlaufuchs Treichel verknüpft an dieser Stelle einmal mehr mit lässigem, aber doch stets aufmerksamem Blick bildungsbürgerliches Gepäck auf ganz verschiedenen Ebenen, Alberts glücklose Verbindung mit Elena mit einer backstage comedy aus der Universität und lauter ernst-amüsanten Thesen zu Caravaggios Gemälden. Denn auch dieser Assistent lässt Albert auflaufen. Nach einem Gespräch über Seitenwunden, Bühnenvorhänge und Vulvaverschiebungen beim „Ungläubigen Thomas“ erklärt „er sich ohne weiteres mit Alberts Themenwahl einverstanden und komplimentierte ihn mit ein paar Abschiedsfloskeln hinaus. Albert war wütend.“

Wütend ist Albert immer wieder. Doch so wenig er dem Assistenten einen Brieföffner durchs Gesicht zieht, obwohl er dazu Lust hat, so oft, wie er beim Kampfsport unterliegt, weil er nicht grob werden möchte, so selten tut er das, was er eigentlich will. „Albert war nur widerwillig nach Berlin und in seine Schöneberger Wohnung zurückgekehrt“, heißt der erste Satz des Romans in schönem, schwächlichem Plusquamperfekt. „Er verkniff es sich, die Schlüssel ins Meer zu werfen“, einer der letzten. Da ist Albert längst auf dem Schiff nach Hause, die Schlüssel aus Sardinien hat er noch immer in der Tasche. Lachhaft ist sein Kampf gegen sich selbst, doch immer wieder auch heroisch: ein Liebesuchender auf Erden, dessen Idiotie schon wieder überweltlich ist.

CHRISTIANE TEWINKEL

Hans-Ulrich Treichel: „Der irdische Amor“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002. 256 S., 19,90 €