■ Agierte die Staatsmacht souverän? Oder werden nicht eher Demonstrations- und Freiheitsrechte unterlaufen?
: Freie Fahrt für Atomtransporte

betr.: „Castoren sind drin, viele Aktivisten auch“, „Perfekt gelenkter Widerstand“, „Halt’s Maul, lauf, sonst gibt’s Prügel“, taz vom 15. 11. 02

„Mit ihren Erfahrungen aus den vergangenen Transporten agierte die Staatsmacht souverän“, schlussfolgerte die taz in ihrem Artikel „Perfekt gelenkter Widerstand“ […]

Ist es souverän wenn die Castor-Transporte nur mit massiven Demonstrationsverboten durchzusetzen sind? Ist es souverän, wenn die Staatsmacht 16.700 Beamte plus Räumfahrzeuge, Wasserwerfer und Hubschrauber mit Wärmebildkameras einsetzt um zirka 3.000 Demonstranten an der Ausübung ihres Demonstationsrechts zu hindern? Ist es souverän, wenn die Presse nicht an die Aktionsorte gelassen wird, weil dies angeblich die Sicherheit gefährdet, wie die taz weiter unten berichtet? Es ist das Gegenteil von Souveränität!

Und: Ist es angesichts dieser Machtverhältnisse verwunderlich, dass der Widerstand im Wendland den Transport nicht mehr wesentlich aufhalten kann? Es ist nicht verwunderlich! Dass der Transport nicht meht wesentlich aufgehalten werden kann, hat nicht nur mit der geringeren Anzahl von DemonstrantInnen zu tun, sondern auch mit der Übermacht und Strategie der Polizei. Und die geringere Anzahl von DemonstrantInnen hat auch damit zu tun, dass leider nur wenige bereit sind sich dieser Übermacht an Polizei inklusive aller Schikanen zu stellen. Das eine hängt mit dem anderen zusammen.

Dass sich der Staat bis an die Zähne bewaffnet, darf nicht dem Widerstand angelastet werden. Angesichts dieses enormen – einer Demokratie unwürdigen – Polizeiaufgebots ist es ein großer Erfolg, dass der Widerstand immer noch lebt und sich trotz allem nach wie vor friedlich äußert! JUTTA FRICKER, Dömitz

Wir waren von Samstag bis Donnerstag im Wendland und haben an vielen Protestaktionen teilgenommen. Unser Eindruck ist, dass der Widerstand, entgegen der Darstellung im Artikel, nicht weniger geworden ist. Dies haben uns auch viele Wendländer bestätigt.

Natürlich ist es erklärtes Ziel, den Castor aufzuhalten, es weiß aber auch jeder dort, dass dies im Wendland nahezu unmöglich ist. Viele Menschen haben es dennoch versucht und sind an dem Aufgebot der Polizei gescheitert. Das wäre aber auch dann passiert, wenn mehr Demonstranten vor Ort gewesen wären. […]

SUSANNE SEHER, Wiesbaden

Während der „Anti-Castor-Tage“ wurden beim Europäischen Sozialforum in Florenz überall in der Stadt solidarisch Symbole des Castor-Widerstands angebracht. Und beim internationalen Hearing zur unlösbaren Endlagerproblematik in Dannenberg (mit Vertretern aus Australien, Frankreich, Finnland, Schweden und den USA) wurde in großer Übereinstimmung festgestellt, dass „Endlager“ weltweit eine Alibifunktion für weitere Atommüllproduktion haben, so lange wie Kernenergie weiter genutzt wird: Vom Uranbergbau bis zur Atommüllvermehrung in den so genannten „Wiederaufarbeitungs“-Anlagen, einschließlich der Weiterentwicklung von Atomwaffen und neuen „Fusions“-Techniken.

Die Atomtechnologie kann weltweit nur mit polizeistaatlichen Methoden, mit Rechtsbruch, Täuschung und Verharmlosung, mit geistiger wie materieller Korruption aufrecht erhalten werden. Wenn überzeugende Argumente gegen Atomkraft geholfen hätten, wenn das Leiden und der Tod durch die Umweltverseuchung nicht zynisch als „kapitalverträglich“ einkalkuliert würden, dann gäbe es seit Jahrzehnten weltweit nur noch nachhaltige Energieformen. […] ILONA JOERDEN, Göhrde

Nach Angaben der BI Lüchow-Dannenberg wurden beim diesjährigen Transport fast 1.000 Menschen in mehrstündige polizeiliche Gefangenschaft genommen, ungefährt 200 waren ungefähr 20 Stunden inhaftiert.

Rein von den Zahlen sieht das nicht schlimmer aus als beim letzten Transport. Schlimmer ist aber, dass durch Wiederholung dieser Repressionsmaßnahme die Beschneidung der Freiheits- und Demonstrationsrechte zur Routine und offenbar von der Politik hingenommen wird. Sie wird zu einem Gewohnheitsrecht, das wichtige Grundrechte der Demokratie unterläuft, wenn nicht bricht. Gegen die atomkritischen DemonstrantInnen wird immer stärker eine Vorbeugehaft ausgeübt, mit dem erkennbaren Ziel, sie durch vollständigen vorübergehenden Freiheitsentzug an der Ausübung ihres Demonstrationsrechts zu hindern. Dadurch hält sich die Staatsgewalt möglichen Ärger mit strikt gewaltfreien Aktionen vom Hals, in der Güterabwägung zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten und dem Anspruch auf freie Fahrt für umstrittene Atomtransporte entscheidet sie für freie Fahrt und klar gegen Freiheitsrechte.

[…] Sicher trägt in erster Linie der Innenminister von Niedersachsen die politische Verantwortung für die Einsätze. Aber immerhin ist die SPD auch Regierungspartei in Berlin. Vor allem wird man der rot-grünen Bundesregierung eine zumindest indirekte politische Verantwortung zurechnen müssen, wenn die hier stattfindende Routinierung des Abbaus demokratischer Freiheitsrechte hingenommen wird. Es kann auch Bundestagsabgeordneten, als Mitgliedern der gesetzgebenden Instanz im Lande, nicht gleichgültig sein, wenn Demonstrations- und Freiheitsrechte in einer Weise unterlaufen werden, wie wir das im Wendland (mindestens) einmal jährlich erleben.

Was unternimmt die rot-grüne Koalition, was unternimmt Grün in der Regierungsbeteiligung, um diese gefährliche innenpolitische Entwicklung im Umgang mit Anti-Atom-Protesten zu stoppen? HARTWIG BERGER, Berlin

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