Israels Arbeitspartei wählt Chef

Die Parteimitglieder bestimmen heute ihren Vorsitzenden und Spitzenkandidaten für die Wahlen im Januar. Die Organisation ist nach 20 Monaten großer Koalition in einem desolaten Zustand. Die Linke erwägt im Falle einer Niederlage den Austritt

aus Jerusalem ANNE PONGER

Die Show der Uneinigkeit letzte Woche war peinlich und enttäuschend. Die drei Anwärter auf den Posten des Parteichefs und Spitzenkandidaten bei den heutigen Vorwahlen der israelischen Arbeitspartei – Benjamin Ben-Elieser, Amram Mitzna und Haim Ramon – ließen sich in einer populären TV-Sendung von Interviewer Nissim Mischal gnadenlos aufeinander hetzen. Vor breitem Publikum fochten sie gegeneinander, als gehörten sie rivalisierenden Parteien an. Wie Joel Markus in der Zeitung Ha’aretz bemerkte, ähnelten sie „Obdachlosen, die sich um eine Kippe prügeln“.

Haifas Bürgermeister Mitzna, zumindest in Umfragen der Favorit, hinterließ noch den besten Eindruck. Sein Stil und seine programmatischen Aussagen ließen erkennen, dass er die heruntergewirtschaftete linke Traditionspartei nicht zu einem „Likud B“ verkommen lassen möchte. Die verbalen Vulgaritäten seiner parteiinternen Kontrahenten gaben einen Vorgeschmack auf die schweren Aufgabe, die Mitzna vor und nach den Knessetwahlen erwarten würde.

Es ist müßig, darüber zu streiten, wann der Abstieg der Arbeitspartei begann – nach Ehud Baraks verpatztem Versuch im Herbst 2000, Palästinenserführer Jasser Arafat ein Friedensangebot zu machen, nach Ariel Scharons Wahlsieg im Februar 2001, nach der Entscheidung einer kleinen Mehrheit der Parteiführung, sich einer großen Koalition unter Scharon anzuschließen, oder während der glücklosen 20-monatigen Partnerschaft. In dieser Zeit wurde die Arbeitspartei zur Mitverantwortlichen an der Tyrannei über die palästinensische Bevölkerung, an der Vorzugsbehandlung jüdischer Siedler, an dem Ausbau von Siedlungen und der Duldung wilder Siedlungssprosse

Während daheim Arbeitspartei-Chef Benjamin Ben-Elieser als Verteidigungsminister Scharons groß angelegte Militäroperationen absegnete, versuchte Außenminister Schimon Peres dem Regierungschef in den Hauptstädten der Welt die Alibis zu besorgen. Israel wurde dennoch in großen Teilen des Auslandes verdammt, seine Produkte boykottiert, seine Generäle der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezichtigt und seinen Bürgern empfohlen, zum Selbstschutz „draußen“ nicht mehr hebräisch zu sprechen.

Die finanzielle Bevorzugung der Siedler gegenüber sozial Schwachen im Haushaltsentwurf 2003 war für Ben-Elieser ein willkommener Vorwand für den allzu späten Abbruch der Partnerschaft. Die Arbeitspartei stand in Gefahr, als politische Größe irrelevant zu werden. Sie wird eine Weile brauchen, um sich zu rehabilitieren und eine echte Alternative zum Likud zu bieten, der das Land in eine wirtschaftliche, soziale und militärische Krise geführt hat.

Der Auszug der Arbeitspartei aus der Regierung hat bisher wenig Effekt auf die parlamentarische und außerparlamentarische Linke gehabt. Entscheidend ist, wer heute zum Parteivorsitzenden gewählt wird. Ein Alternativszenario – die Bildung einer neuen sozialdemokratischen Partei – wurde bis nach den Vorwahlen verschoben. Sollte Ben-Elieser wieder gewählt werden, dürften die „Tauben“, geführt von Jossi Beilin, sich mit der linksliberalen Meretz von Jossi Sarid vereinen. Würden Mitzna oder Ramon gewählt, blieben die „Tauben“ in der Arbeitspartei. Doch Ramon scheint nach den letzten Umfragen mit nicht mehr als 10 Prozent kaum noch eine Chance zu haben.

Die Gefahr einer zweiten Wahlrunde Anfang Dezember schien diesen Umfragen zufolge gebannt. Dies wird nur notwendig, wenn keiner der drei Kandidaten über 40 Prozent erzielt. Mitzna wurden bereits bis zu 46 Prozent prophezeit, während Ben-Elieser mit 26 Prozent hinterherhinkte. Der verbleibende Rest der noch Unentschiedenen, so glaubten Kommentatoren, dürfte sich in letzter Minute eher dem mutmaßlichen Gewinner zuwenden. Damit wäre der Umzug Mitznas von der Haifaer Stadtverwaltung ins Büro des Arbeitsparteichefs sicher.

Bleibt die Frage einer Neuauflage der großen Koalition nach den Wahlen am 28. Januar, sollte der Likud – unter Scharon oder Benjamin Netanjahu – die Arbeitspartei erneut schlagen. Mitzna und Ramon haben sich eindeutig gegen eine Rückkehr in eine „Einheitsregierung“ ausgesprochen. Doch rund die Hälfte der Parteimitglieder scheint sich, trotz aller negativen Erfahrungen, nicht so sicher zu sein. Sollte ein siegreicher Likud-Chef versprechen, dass beim nächsten Mal „alles anders sein“ werde, gibt es keine Garantie dafür, dass Exminister wie Peres, Ben-Elieser, Dalia Itzig, Ephraim Sneh und Matan Vilnai nicht opportunistisch vor einer „verantwortungslosen Rechts-Regierung“ von Likud, radikalen Nationalisten und Religiösen warnen.

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