Zahlen sollen die anderen

Einfache Dienstleistungen sind die Jobs der Zukunft. Aber wer finanziert sie?Der Steuerzahler – wenn es nach den Vorstellungen von Arbeitsvermittler Gerster geht

BERLIN taz ■ Die Wissenschaft verkündet es schon lange, Hartz hat es auch erkannt, die Realität in anderen Ländern beweist es: Bei einfachen Dienstleistungen liegt der Arbeitsmarkt der Zukunft. Zugleich wäre eine Kerngruppe der Arbeitslosen untergebracht: die Masse der „gering qualifizierten“ Langzeitarbeitslosen.

Das Problem ist allerdings, wie sich gestern auf einer Berliner Tagung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zeigte: „Die Arbeitslosen sind zwar keine Faulpelze, aber sie sind Ökonomen, sie rechnen“, so Klaus F. Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Niemand will diese einfachen Dienstleistungen erbringen, wenn der Lohn niedriger liegt als die Einkünfte aus Sozialhilfe plus ein bisschen Schwarzarbeit. Wenn die Dienstleistungen aber zu teuer werden, will sie niemand kaufen. Wer also zahlt für diese neuen Jobs?

Im Zweifelsfall immer der, der gerade nicht da ist und sich nicht verteidigen kann – das ist bei wissenschaftlichen Tagungen nicht anders als im richtige Leben. In diesem Fall waren neben BA-Chef Florian Gerster und zahlreichen Wissenschaftlern noch DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer und BDA-Arbeitsexperte Christoph Kannengießer anwesend. Kein Finanzpolitiker und kein Vertreter der Sozialversicherungen störte sie. Kein Wunder, dass sich die Runde schnell für innovative Modelle im Niedriglohnsektor erwärmte, unter denen Steuerzahler und Sozialversicherungen zu leiden hätten.

Die Arbeit direkt zu subventionieren, also Kombilöhne zu zahlen, hat sich nicht bewährt und ist sehr teuer, wie Zimmermann vorrechnete. Dem radikalen Modell, die Sozialhilfe für Erwerbsfähige abzusenken, wie es das Ifo-Institut unter dem Stichwort „aktivierende Sozialhilfe“ propagiert, wollte niemand folgen. Doch schlagen die Arbeitgeber Ähnliches vor: Die Stütze zu kürzen und dafür einen höheren Nebenerwerb zuzulassen. Zimmermann selbst votierte für das britische Modell „Workfare“: Sozialhilfe gibt es für Erwerbsfähige nur noch gegen gemeinnützige Arbeit. Statt diesen Stundenlohn von etwa 3,50 Euro zu akzeptieren, strömten die Stützeempfänger schwarenweise in andere, etwas besser bezahlte Niedriglohnjobs. Ohne die Sozialhilfe offiziell zu kürzen, was verfassungsrechtlich kaum haltbar wäre, hätte man denselben Effekt.

BA-Chef Gerster dagegen ist so weit Politiker, dass er gar keinen radikalen Systemumbau fordert. Er setzt bei den 500-Euro-Minijobs für haushaltsnahe Dienstleistungen an. Die bekamen allgemeinen Applaus, weil sie keine regulären Jobs verdrängten. Ähnlich wie hier müssten die Abgaben für einfache Dienstleistungen allgemein gesenkt werden, so Gerster. Er forderte ein steuer- und sozialabgabenfreies Grundeinkommen, das bis zu 400 Euro betragen könnte. Das würde die Service-Dienstleitungen derart verbilligen, dass jedermann sie bezahlen könnte. Auf den zarten Einwand von Ursula Engelen-Kefer hin, diese Menschen müssten aber doch auch versichert werden, fand Gerster kurzerhand eine Finanzierungsquelle: Die Mehrwertsteuer könnte um ein bis zwei Prozentpunkte erhöht werden. Das würden die Menschen gern zahlen, wenn sie wüssten, dass es für den guten Zweck neuer Arbeitsplätze sei. Wie gesagt: Professionelle Steuerzahler waren nicht anwesend.

HEIDE OESTREICH