Suche nach der idealen Steuer

Die Besteuerung von Gewinnen auf Aktiengeschäften klingt gut, bringt aber kein Geld. Die rot-grüne Regierung übt sich weiter im Durchlavieren

aus Berlin HANNES KOCH

Man hat den Eindruck, Schröder guckt knapp über die Tischplatte. Ziemlich unmotiviert hängt der Kanzler in seinem Sessel auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Ein Bild der Unlust im Vergleich zum einigermaßen lebendigen Hans Eichel, der an Schröders Seite den neuesten, vermutlich aber nicht letzten Haken erläutert, den die rot-grüne Politik dieser Tage schlägt.

„Macht es Ihnen Spaß, hier zu sein?“, wird Schröder von einem Journalisten gefragt. „Speziell, wenn ich Sie sehe, stellt sich unverzüglich Spaß ein“, antwortet der Kanzler. So klingt das, was als „Ruck“ inszeniert wurde. Es passiert nicht oft, dass der Chef der Regierung höchstpersönlich vor die Hauptstadtpresse tritt. Zum Beispiel, wenn die Veranstaltung einen größeren symbolischen Gehalt transportieren soll. So war es wohl auch gestern gedacht. Endlich müsse Schluss sein mit dem riesengroßen Kuddelmuddel, den SPD und Grüne nach ihrem Wahlsieg angerichtet haben, hatte der Koalitionsausschuss am vergangenen Donnerstagabend beschlossen. Der Herr Bundeskanzler freilich schien seinen eigenen Auftrag nicht richtig mitbekommen zu haben.

Dabei ist die neue rot-grüne Idee der Besteuerung von Aktien und Immobilien ganz pfiffig. Sie erfüllt mehrere Kriterien, die ein guter politischer Vorschlag zur Zeit aufweisen sollte. Die veränderte Steuer für Aktionäre und Hausbesitzer kommt daher unter dem Motto „billig und gerecht“. Die Steuersätze fallen relativ niedrig aus, doch gleichzeitig hat die Normalbevökerung den Eindruck, dass auch die Reichen ihr Scherflein beitragen müssen. Der Aktiensteuer sendet ein Signal symbolischer Gerechtigkeitspolitik – und steht damit im Gegensatz zu vielem, was die Koalition bisher beschlossen hat. Denn zur Zeit lautet das allgemeine Urteil eher: „teuer und ungerecht“. Die Sozialbeiträge steigen, Erdgasheizungen werden teurer, die Mehrwertsteuer zieht an – Rot-Grün kassiert ab, so das verbreitete Urteil – und schadet damit auch noch der Konjunktur.

Mit der neu konstruierten Steuer auf Aktien und Immobilien – dem wesentlichen Ergebnis der rot-grünen Strategierunde vom Sonntagabend – versuchen die Koalitionäre, der herrschenden Stimmung entgegenzuwirken. Unter dem Aspekt der Gerechtigkeit entzieht die Regierung einigen Gruppen, die bisher massiv privilegiert waren, ein paar Vorteile. Zur Zeit noch müssen Aktionäre ihre Gewinne nur im ersten Jahr nach dem Kauf der Papiere versteuern, Immobilienbesitzer innerhalb der ersten zehn Jahre. Danach sind nach der alten Regelung auch die größten Gewinne steuerfrei. In Zukunft werden die Finanzämter auf alle neu gekauften Wertpapiere und aktuell erworbenen Mietshäuser eine pauschale Gewinnsteuer von 15 Prozent erheben. Da müssen die Reichen richtig blechen, könnte man denken. Einerseits richtig, sie bezahlen mehr als vorher. Andererseits falsch, denn die neue Steuer bewegt sich auf der Höhe des Eingangssteuersatzes, der ab 2005 gilt. Millionäre bezahlen also für ihre Gewinne denselben Prozentsatz wie arme Lohnarbeiter, deren Einkommen knapp über dem Existenzminimum liegen. Für private Aktionäre ermäßigt sich die Steuer außerdem auf 7,5 Prozent.

Keine Entspannung in Sicht

Auch Anleger, die bereits Aktien und Immobilien besitzen, die sie demnächst verkaufen wollen, kommen extrem gut davon. Wenn sie die Differenz zwischen Erwerbs- und Veräußerungspreise nachweisen können, bezahlen sie nur 1,5 Prozent – also etwas mehr als überhaupt nichts.

Eigentlich müssten die Banken und Fonds mit dieser Regelung ganz gut leben können. Im Vergleich zu den vorherigen – teilweise weiter gehenden – Vorschlägen lobte nur das Deutsche Aktieninstitut die neue Spekulationssteuer gestern als „großen Fortschritt“.

Die ideale Steuer also? Fast, sie hat einen Schönheitsfehler. Sie bringt nämlich kein Geld – jedenfalls nicht kurzfristig. Die Finanzämter wenden die neue Regelung erstmals bei den Steuererklärungen für 2003 richtig an, die erst im Jahr 2004 eingehen.

Finanzminister Hans Eichel rechnet also erst in etwa zwei Jahren mit ersten Einnahmen. 2004 sollen es 325 Millionen Euro, 2005 dann 650 Millionen Euro sein. Das sind keine großen Summen. So wird die Regierung mit ihren gigantischen Haushaltslöchern weiterwurschteln wie bisher.

Dass diese Aussicht Gerhard Schröder gestern kein Lächeln aufs Gesicht zauberte, ließ er deutlich spüren. Kurzfristig sei mit einer Änderung der angespannten Haushaltslage nicht zu rechnen, erklärte der Kanzler.