Rot-Grün – wohl bekomm’s

Höhere Schulden und neue Steuern: Damit will die Regierung die dramatischen Haushaltslöcher stopfen. Neuverschuldung 2002 steigt auf 34,6 Milliarden Euro. Kanzler: Sehr schwierige Lage

BERLIN taz/dpa ■ Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel haben gestern die Beschlüsse der Koalition vorgestellt, mit der der Haushalt saniert werden soll. Der Kanzler sprach von einer „sehr schwierigen Situation“. Wegen des Wegbrechens der Steuereinnahmen und der schlechten Konjunktur sei kurzfristig mit keiner Besserung zu rechnen. Eichel verkündete für dieses Jahr offiziell die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, weil die Neuverschuldung deutlich über den Investitionen liegt. Der Bund muss in diesem und im nächsten Jahr insgesamt knapp 17 Milliarden Euro mehr Kredite aufnehmen als angekündigt. Die Neuverschuldung steigt damit in diesem Jahr auf 34,6 Millionen Euro. Ursprünglich waren 21,1 Milliarden vorgesehen. Damit wird ein Nachtragshaushalt von 13,5 Milliarden Euro erforderlich, der am Mittwoch beschlossen werden soll. Nach Schröders Worten zeigt die Finanzmisere, dass eine „durchgreifende Neuordnung des Sozialstaats“ notwendig ist. Man stehe erst am Beginn von „schmerzhaften“ Prozessen. Alle müssten ihre Ansprüche zurücknehmen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnte der Kanzler ab.

Union und FDP wollen mit einem Untersuchungsausschuss des Bundestages klären lassen, ob die rot-grüne Regierung Wahlversprechen gebrochen hat. Anfang Dezember soll endgültig über das Gremium entschieden werden. Als „Klamauk“ kritisierte der Kanzler diese Unions-Ankündigung.

Mit massiver Kritik reagierten Wirtschaftsverbände gestern auf die neuen Pläne zur Besteuerung von Aktien und Immobilien. Besonders die Lobby der Aktionäre empörte sich, weil ihre Klientel die Suppe auslöffeln müsse, die SPD und Grüne mit einer falschen Wirtschaftspolitik angerichtet habe. „Zuerst wird die Bevölkerung mit Werbekampagnen zu Aktien und Fonds bombardiert, jetzt erhält sie die Quittung“, sagte Klaus Nieding, Präsident des Anleger-Schutzbundes.

Der Bundesverband des Groß- und Einzelhandels bezeichnete die Beschlüsse als „modernes Raubrittertum“. Positiv äußerte sich nur das Deutsche Aktieninstitut (DAI) aus Frankfurt am Main. Rot-Grün habe „Verbesserungen“ gegenüber den ursprünglichen Plänen erreicht, sagte DAI-Direktor Franz-Josef Leven.

Im Zuge ihres Programms, Einsparungen und Kürzungen von Steuervorteilen gerecht zu verteilen, wollen SPD und Grüne die Spekulationsfrist für Aktien und Immobilien abschaffen. Wertpapiere und vermietete Häuser sollen künftig unbegrenzt der Steuer unterliegen. Dafür sinkt der Steuersatz allerdings auf pauschal 15 Prozent, für Aktien in Privatbesitz auf 7,5 Prozent. Die neue Steuer gilt nur für Wertpapiere und Häuser, die neu gekauft werden. Für Altbesitz sollen die Finanzämter pauschal 10 Prozent erheben. Wenn die Besitzer die exakte Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis nachweisen können, sinkt die Steuer auf 1,5 Prozent. KOCH

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