„Fischer ist nicht der heimliche Chef“

Der grüne Umweltminister Jürgen Trittin über den grünen Bonapartismus eines Joschka Fischer, die Urabstimmung zur Trennung von Amt und Mandat sowie den zweiten Anlauf, um Fritz Kuhn und Claudia Roth als Parteichefs der Grünen zu halten

Interview HANNES KOCH
und JENS KÖNIG

taz: Herr Trittin, über die Regierung fegt gerade ein Orkan, und Ihre Partei diskutiert über ihr Lieblingsthema, die Trennung von Amt und Mandat. Haben Sie keine anderen Sorgen?

Jürgen Trittin: Diesen Konflikt schleppt unsere Partei seit zehn Jahren mit sich herum. Eine große Mehrheit, nämlich knapp zwei Drittel der Mitglieder, findet, man sollte mit der Unvereinbarkeit von Parteiamt und Parlamentsmandat flexibler umgehen, ein gutes Drittel ist dagegen. Nun könnte man sagen, auf dem Parteitag vor vier Wochen haben wir wieder mal abgestimmt und die bestehende Regel bestätigt, also sollten wir es auch gut sein lassen. Aber diese Abstimmung hat offensichtlich nicht zur Ruhe in der Partei geführt. Es ist damit zu rechnen, dass das Thema spätestens in zwei Jahren wiederkehrt.

Ja, weil sich die Parteiführung nicht mit ihrer Niederlage abfinden will.

Nein, weil eine übergroße Mehrheit der Mitglieder sich offensichtlich nicht damit abfindet. Eine Reihe von Landesvorständen – übrigens mit sehr unterschiedlichem strömungspolitischem Hintergrund – hat gesagt: Lasst uns die Frage der Trennung von Amt und Mandat ein für alle Mal klären. Dafür wurde eine Urabstimmung vorgeschlagen. Es wäre nicht sinnvoll, das Problem noch länger vor uns herzuschieben. Ich bin dafür, die Mitgliederbefragung schnell durchzuführen. Bis Frühjahr 2003 sollte sie über die Bühne sein.

Und so ganz nebenbei wird für die Parteivorsitzenden Fritz Kuhn und Claudia Roth eine Ausnahmeregelung beschlossen, die es ihnen ermöglicht, trotz ihres Bundestagsmandats im Amt zu bleiben.

Es geht hier um keine Sonderregelung für Claudia Roth und Fritz Kuhn. Wenn die Urabstimmung alle vernünftig finden, deren Ergebnis aber frühestens im Frühjahr vorliegt, dann ergibt sich daraus zwingend eine Frage: Warum sollten wir vorher für drei bis vier Monate Fakten schaffen und die beiden Parteivorsitzenden, die das beste Wahlergebnis in der Geschichte der Grünen mit erkämpft haben, von einer erneuten Kandidatur Anfang Dezember ausschließen?

Vielleicht, weil sie gegen die Satzung der Grünen verstößt?

Aber genau diese Satzungsvorschrift ist Gegenstand der Urabstimmung. Es spricht nichts dagegen, bis dahin Roth und Kuhn eine Kandidatur für den Parteivorsitz zu ermöglichen. Ich betone: Es geht um eine Kandidatur. Die beiden sind damit ja nicht automatisch gewählt.

Warum rennt die Parteiführung in dieser Frage immer und immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand?

Hier rennt keiner mit dem Kopf gegen die Wand. Und wir stimmen auch nicht so lange ab, bis wir das passende Ergebnis haben. Auf dem Parteitag in Hannover geht es nicht um eine Wiedervorlage des Bremer Antrags. Es geht um eine Urabstimmung. Führt diese Mitgliederbefragung nicht zu dem von uns gewünschten Ergebnis, also zur flexibleren Handhabung der Trennung von Amt und Mandat, dann wären die Tage von Roth und Kuhn ohnehin gezählt. Aber wir sollten wissen: Ohne eine starke Parteiführung werden die Grünen die Herausforderungen, vor denen wir in der Regierung stehen, nicht bewältigen können.

Vermutlich geht es in dem Konflikt schon lange nicht mehr um die Sache. Artikuliert sich hier nicht ein Unbehagen der Basis mit einer informellen Machtstruktur: Jede wichtige Entscheidung trifft ein kleiner Zirkel, und über allen thront der grüne Napoleon, Joschka Fischer?

Wenn es so wäre, wäre es schlimm. Als Antwort auf solche informellen Runden, die es früher gegeben hat, haben wir ein demokratisch legitimiertes Gremium geschaffen: den Parteirat. Im Übrigen ist eine starke Parteiführung die beste Versicherung gegen informelle Strukturen. Das Siebener-Team, auf das Sie anspielen, ist tot, das gab es nur im Wahlkampf.

Sie scherzen. Die beiden neuen Fraktionsvorsitzenden sind in diesem Siebener-Team ausgekungelt worden.

Sie sind von der Fraktion gewählt worden. Alle wichtigen Entscheidungen, die die Partei betreffen, fallen ab jetzt wieder im Parteirat. Der Wahlkampf war eine Ausnahmesituation.

Die Grünen haben keinen heimlichen Parteivorsitzenden Joschka Fischer?

Joschka Fischer war unser Spitzenkandidat, er ist Vizekanzler und als Mitglied des Parteirats an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt. In allen drei Funktionen ist er von Parteitagen gewählt und bestätigt worden. Das Amt des heimlichen Vorsitzenden wird ihm nur angedichtet.