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: CHRISTOPH BIERMANN über den FC St. Pauli

Der Zauber ist verflogen

Schön ist es, wenn man solche Frauen wieder trifft, die man immer besonders gern hatte, ohne dass sich diese Zuneigung in erotische Aufwallungen verwandelte. Ein besonderer Zauber liegt über dieser Art von Begegnungen, ein Flirren zwischen Flirt und Wertschätzung, das ohne Schwere ist. Doch kann dieser Reiz eines Tages verflogen sein und sich die Frage stellen, warum das eigentlich passiert ist. Und damit verbunden das Rätsel sein, ob der Zauber der Vergangenheit nicht einfach nur ein Trugbild war.

Auch wenn man Fußballvereine besser nicht wie Menschen lieben sollte, hilft die Analogie an dieser Stelle trotzdem weiter. Dem FC St. Pauli hat schon lange meine besondere Sympathie gegolten, ohne dass ich für den Klub je als Fan gefühlt habe. Eher war es so, dass Menschen, denen in meinem Herzen ein fester Platz eingeräumt ist, mit dem Team gelitten haben.

Sowieso gebührt dem Klub ein fester Platz in der deutschen Fußballgeschichte, ohne auch nur einen Titel gewonnen zu haben. Denn selbst wenn es bisweilen selbstgefällige Züge hat, wie seine Fans ihr Anderssein stilisieren, kann man dankbar über ein Fußballpublikum sein, das so lange schon aus all den dunklen Übereinkünften ausgeschert ist, die es in unseren Stadien gegeben hat und gibt. Für Ausländer, für Frauen oder für Schwule ist das Millerntor früher als anderswo ein Stadion geworden, wo sie sich beim Fußball zu Hause fühlen durften. Gut ist das, und ich habe dort zudem schlicht schon eine Menge Spaß gehabt, oder anderswo, wenn Fans des FC St. Pauli aufgetreten sind. Auch für die fast naturgegebene Rolle des Underdogs in der Stadt des großen HSV hatte ich stets viel Sympathie. Zumal, wenn sie mit Würde ausgefüllt wird, weshalb an dieser Stelle den Fans von St. Pauli nach dem letzten Lokalderby schon einmal Respekt dafür gezollt wurde, dass sie nicht andere, sondern einfach gute Fans sind.

Schön wäre, wenn das auch über die Führung des Weltpokalsiegerbesiegers zu sagen wäre. Natürlich könnte man jetzt erneut das Beifallband einstellen, weil der Klub am Montag beim Spiel gegen Köln sogar Bandenwerbung freigeräumt hat, um für fanfreundlichere Anstoßzeiten zu werben. Tolle Sache das, eigentlich. Aber kann es nicht auch mal Fußball sein?

Der Klub mag die progressivste Stadionordnung haben und seinen Mitgliedern die weitreichendste Mitbestimmung einräumen, er hat darüber aber völlig seine Aufgabe vergessen, für vernünftigen Fußball zu sorgen. Seit Jahren ist die sportliche Entwicklung am Millerntor an einen Zufallsgenerator angeschlossen. Dafür ist gerade das Wunder des Bundesligaaufstiegs im letzten Jahr ein Beleg. Geholt wurde ein Heer der Mittelmäßigen, während die Helden von einst längst übers ganze Land verteilt sind. Kein Plan und kein Konzept ist seitdem zu erkennen, und dafür ist auch relative Armut keine Entschuldigung. Nur knapp ein halbes Jahr nach dem Abstieg verfügt St. Pauli nun über eine Mannschaft, die auf die dritte Liga zusteuert, wo sie vielleicht sogar hingehört.

Damit wäre das braun-weiße Zufallsprinzip am Ende angekommen. Der Zauber ist verflogen, und ich mag nicht mehr mit St. Pauli flirten. Was mal charmant erschien, wirkt nun wie schale Tradition von schlechtem Fußball. Warum da welcher Trainer und Sportliche Leiter was gemacht hat, ist sowieso meist im Dunkel geblieben. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass all das nette Anderssein dem Erfolg im Wege steht. Denn was hilft es, politisch korrekt die Speerspitze von „Pro 15:30“ zu sein, wenn man bald samstags um zwei spielen muss? In der Regionalliga. Gegen die HSV-Amateure.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 41, liebt Fußball und schreibt darüber