strübel & passig
: Die große Bibliothek von Berlin

„Dies ist also der Onlinekatalog der Berliner Staatsbibliothek“, rief William aus, und ich konnte hören, wie erfreut er war, dass diese altehrwürdige Institution sich dem Brauch anderer, unbedeutenderer Bibliotheken nicht länger verschloss, wenn es auch bis nach der Jahrtausendwende damit gedauert hatte. „Gewiss erleichtert er es sehr, das gewünschte Buch aufzufinden und sich aushändigen zu lassen.“

 Der Bibliothekar schnaubte durch die Nase. „Versucht es nur. Ihr werdet sehen, dass wir nur die Namen der Bücher bereitwillig herausgeben, nicht etwa die Bücher selbst. Obgleich schon die Kenntnis der Existenz mancher Texte den Toren verderblich sein kann.“ „Davon habe ich gehört“, sagte William. „Plant nicht die Bundesprüfstelle, im nächsten Jahr einen neuen Katalog verbotener Werke herauszugeben, dessen Inhalt niemandem bekannt werden darf?“ Dann rückte er das Gerät auf seiner Nase zurecht und schrieb einen Titel in das Suchfeld.

 „Ah, der verrückte Italiener“, bemerkte Malachias. „Nun versucht das Werk zu bestellen!“ William sah ratlos aus, und auch ich konnte nirgends eine Möglichkeit dazu entdecken. Der Bibliothekar lachte. „Und doch ist es möglich. So hindern wir die Unerfahrenen daran, uns unnötige Arbeit zu verursachen. Nur von manchen Titeln führt ein Weg zum Bestellformular. Glaubt aber nicht, dass der Benutzer dadurch etwa weniger Arbeit hat – auch er muss sich die Signatur einprägen und sie später von neuem eingeben, obwohl es uns ein Leichtes wäre, sie zu übernehmen. Doch die Trägheit ist eine Sünde, und wir wollen sie nicht befördern.“

 Er beugte sich über Williams Schulter und führte uns zum Bestellformular, indem er dessen komplizierte und verschlungene Adresse von Hand eingab. William schrieb die Signatur und drückte auf „Weiter“. Es erschien der strenge Befehl, er möge sich gefälligst zwischen dem Bestand der beiden Häuser der Bibliothek entscheiden. Verwirrt blickte er zu Malachias auf. „Wie kann ich denn wissen, in welchem Hause das Buch steht?“

 Der Bibliothekar konnte seine Freude kaum bezähmen. „Gar nicht. Im Vertrauen gesagt ist es egal, welches von beiden ihr wählt. Nur wählen müsst ihr eines.“ „Aha“, sagte William ein wenig missmutig. Nun wurden wir aufgefordert, Ausweisnummer und Passwort einzugeben. „Das Passwort ist wohl ein sehr geheimes Zeichen?“, vermutete William. „Geheim!“, höhnte Malachias. „Es ist das Geburtsdatum des Benutzers. Bedenkt, dass es vor Gott keine Geheimnisse geben kann.“ Wieder griff er William über die Schulter, um beides für uns einzugeben, damit wir Zugang zum Innersten des Labyrinths erlangen konnten.

 „Siebzehn Stellen!“ sagte ich, um zu zeigen, dass ich aufmerksam mitgezählt hatte. „Ein Glück, dass ihr es nur einmal eingeben müsst.“ Da wurde der Bibliothekar von einer unmäßigen Freude erfasst. „All diese siebzehn Stellen“, kicherte er, „müssen immer wieder von neuem eingegeben werden. Bei jedem neuen Buch, bei jeder Einsicht in die Bestellungen, bei jedem Handgriff! Oft sogar mehr als einmal, denn nur die Eingeweihten wissen, dass die Menüpunkte auf ihre erste Betätigung nicht reagieren!“ William schwieg einen Augenblick und sagte dann höflich: „Ich danke euch für die Vorführung, Bruder Malachias. Ich weiß nun genug.“ KATHRIN PASSIG

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