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Erweiterung und Interventionstruppe: Die Themen des Prager Nato-Gipfels

aus Prag ANDREAS ZUMACH

Das Thema ist in aller Munde, auf der offiziellen Tagesordnung jedoch fehlt es. Die Irakpolitik dürfte vor allem die bilateralen Diskussionen am Rande des heute beginnenden Nato-Gipfels in Prag bestimmen, zu denen Präsident George Bush mit zahlreichen Regierungschefs zusammentreffen wird – nicht jedoch mit Kanzler Gerhard Schröder. Bush will dabei möglichst viele Nato-Partner auf eine Unterstützung für einen eventuellen Krieg gegen Irak einschwören.

Einziges konkretes Ergebnis des knapp zweitägigen Gipfels wird voraussichtlich die Aufnahme Sloweniens, der Slowakei, Rumäniens, Bulgariens sowie der drei baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland sein. Und selbst dieses Ergebnis hätten vor dem 11. September 2001 nicht einmal die eifrigsten Verfechter einer zweiten Runde der Nato-Osterweiterung (nach der Aufnahme Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik 1999) vorausgesagt. Moskaus Widerspruch gegen einen Nato-Beitritt der drei ehemaligen baltischen Republiken der Sowjetunion schien unüberwindbar. Bulgarien und Rumänien hatten nach Ansicht einer Mehrheit der Bündnispartner die auf dem Madrider Gipfel 1997 festgelegten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Voraussetzungen für einen Nato-Beitritt noch nicht erfüllt.

Doch nach dem 11. 9. wurden für Russland die strategische Partnerschaft mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus und die freie Hand im Tschetschenienkrieg wichtiger, als eine Nato-Mitgliedschaft der baltischen Staaten zu verhindern.

Bis zum Kaspischen Meer

Mit Blick auf Bulgarien und Rumänien gewann die Sorge Oberhand, nach der Nichtberücksichtigung der beiden Staaten in der ersten EU-Erweiterungsrunde könnte eine Zurückweisung auch durch die Nato destabilisierende Folgen für Südosteuropa haben. Am Ende warben vor allem die USA dafür, die Beitrittswünsche aus Sofia und Bukarest bereits auf dem Prager Gipfel zu erfüllen. Dieses Werben nutzte Washington zumindest im Fall Rumänien für politische Gegengeschäfte: Die Regierung in Bukarest garantierte – als bislang einzige in Europa – der Bush-Administration in einem bilateralen Abkommen, sie werde keine US-Staatsbürger an den in Washington ungeliebten Internationalen Strafgerichtshof ausliefern. Die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens hat zudem eine strategische Bedeutung: Sie verstärkt die Präsenz der Nato am Schwarzen Meer und ist eine Zwischenetappe bei der Ausdehnung der Allianz bis ans Kaspische Meer und in Richtung Zentralasien.

Wie vor zwei Jahren in Washington wird auch in Prag am zweiten Gipfeltag der Nato-Partnerschaftsrat zusammentreten. Er umfasst 44 Staaten, darunter alle ehemaligen zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion. In der dritten Erweiterungsrunde der Nato, die für den nächsten oder übernächsten Gipfel vorgesehen ist, soll nach Vorstellung der USA Georgien aufgenommen werden. Präsident Eduard Schewardnadse will in Prag den offiziellen Beitrittsantrag seines Landes vorlegen.

Das zweite offizielle Thema auf der Gipfel-Tagesordnung hätte es ohne den 11. September überhaupt nicht gegeben. Die Forderung der Bush-Administration nach Schaffung einer Nato-Interventionstruppe mit mindestens 21.000 Soldaten ist der Versuch, die europäischen Staaten so weit wie möglich in Washingtons „Krieg gegen den Terrorismus“ einzubinden und das amerikanische Oberkommando in diesem Krieg abzusichern.

Wesentliche Elemente dieses Kriegs sind das von der Bush-Administration in grober Missachtung des Völkerrechts proklamierte „Recht“ und die Absicht zu militärischen Präventivschlägen, notfalls auch unter Einsatz atomarer Waffen – und dies selbst gegen Staaten, die ihrerseits nicht über solche Massenvernichtungsmittel verfügen. Werden die Europäer auch diese beiden Elemente übernehmen, wenn sie in Prag Ja sagen zu Washingtons Forderung nach einer Nato-Interventionstruppe? Zumindest in der bisherigen 53-jährigen Geschichte der Nato setzten die USA fast alle ihre zunächst nationalen Militärstrategien und Einsatzdoktrinen für Atomwaffen früher oder später auch im Bündnis durch. Davor schützen auch die drei Bedingungen kaum, mit der die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Schaffung einer Nato-Interventionstruppe verbunden hat: Parlamentsvorbehalt, einstimmiger Beschluss des Nato-Rates sowie keine Konkurrenz zur geplanten EU-Interventionstruppe. Das Vertrauen in den „Parlamentsvorbehalt“ – also die Zustimmung des Bundestags als Vorbedingung – hat die rot-grüne Koalition bereits zu Beginn ihrer ersten Amtsperiode zerstört. Als sie im Oktober 1998 die Zustimmung des Bundestags zum Drohbeschluss der Nato gegen Serbien brauchte, versprach sie vor der Abstimmung, einen Kriegseinsatz der Bundeswehr werde es ohne erneute Befragung und Zustimmung des Parlaments nicht geben. Diese Zusage hielt die Regierung nicht ein. Der Luftkrieg der Nato gegen Serbien im Frühjahr 1999, dessen Strategie, Ziele und operativer Verlauf fast ausschließlich von den USA bestimmt wurden, hat auch gezeigt, dass einstimmige Beschlüsse überhaupt keine Garantie sind für eine Kontrolle der tatsächlichen Kriegführung durch alle Nato-Mitglieder. Über die dritte Bedingung für eine Zustimmung der Bundesregierung – keine Konkurrenz zur Interventionstruppe der EU – kann man in Washington nur herzlich lachen. Erstens hat Washington ohnehin ein verbrieftes Recht, gegen den Einsatz der EU-Truppe ein Veto einzulegen: Bis auf Irland, Schweden, Österreich und Finnland sind alle EU-Staaten auch Nato-Mitglieder. Sie können ihre Truppen und Waffen (bis auf die Atomwaffen der Franzosen sämtlich Nato-assigniert) nur im Rahmen der EU-Truppe einsetzen, wenn der Nato-Rat einstimmig zustimmt. Zweitens weiß die Bush-Administration, dass die EU ohne die USA die militärischen Kapazitäten für eine interventionsfähige Truppe nicht aufbringen kann und dass sich daran angesichts der Haushaltslage in den meisten EU-Staaten so bald wenig ändern wird.