Mein privater Konsens

Bekennende Langweiler mit Musik für die Insel: Die britischen Coldplay präsentierten sich in der Arena als tolle, aber lahmarschige Band mit sehr tollen Songs vor einem tollem Publikum

von ANDREAS HARTMANN

Warum sträuben wir uns gegen den Konsens? „Es ist doch eigentlich schön, ein Teil von etwas zu sein“, so Joachim Bessing in „Tristesse Royale“, als es in der fröhlichen Popliteraten-Kaminrunde mal wieder um die Frage geht, wie man sich gegenüber Kulturgütern verhalten solle, gegen die eigentlich nichts einzuwenden ist, außer dass eben alle diese Kulturgüter gut finden würden. Sich mit seinem Geschmack in Sachen Popmusik abzugrenzen, ist eh schwierig geworden und auch gar nicht mehr gefragt, in Zeiten, wo die Identifikation mit bestimmter Musik nicht mehr automatisch als gegenkulturell oder eben nicht codiert wird.

Bei einer Band wie Coldplay wird dieses Dilemma besonders deutlich. Eigentlich eine okaye Band: „Parachutes“, ihr Erstling, ist eine Platte für die Insel. Die neue, „A Rush Of Blood To The Head“, ist zwar kein weiteres, prall gefülltes Kompendium voll mit Wegdriftsongs, aber keineswegs eine schlechte Platte. Doch Coldplay sind inzwischen in der Marius-Müller-Westernhagen-Liga angekommen, sie gehören nicht mehr mir oder dir, sie gehören allen. Allein mit ihrer Musik sind sie zu einer der größten Bands Englands geworden, die das Gegenmodell zu Robbie Williams verkörpert. Wenn der auftritt, rennt man zum Konzert wegen dem Robbie, bei Coldplay zählt nur die Musik.

Das war dann auch bei ihrem Berlin-Konzert das Problem. Klar, der Laden war ausverkauft, und das, obwohl extra wegen einer zu klein gewordenen Columbiahalle in die Arena umgezogen wurde. Doch da stand man dann nun rum, irgendwo in der Menge, fühlte sich leicht verloren und sah da vorne vier Jungs mit ihren Instrumenten, die eigentlich auch nur so dastanden.

Doch Halt! Der Sänger, Chris Martin, der bewegte sich, der tat was. Aber dessen Rumgehüpfe und ungelenkes Posieren Showeinlagen zu nennen, hieße, den Sinn von Entertainment zu verkennen. Natürlich, man hätte es wissen müssen, die Jungs von Coldplay gaben ja nie etwas anderes an, als bekennende Langeweiler zu sein, denen es eben nur um die Musik gehen würde und die sich niemals mit einem Exmitglied einer Girlgroup gemeinsam auf der Damentoilette aufhalten würden, nur damit die englische Presse ihren Spaß hat. Nur: Diesem Ausmaß an Langeweile dann auch noch direkt ins Gesicht blicken zu müssen, das war dann doch einigermaßen ernüchternd.

Keine Frage, Coldplay können was. Keiner aus der Band ist älter als 25 und doch kriegen sie es live hin, jeden einzelnen ihrer Songs so perfekt zu reproduzieren, dass der Unterschied zur Konserve minimal war. Dem Publikum schien das völlig zu genügen. Jeder Hit der Band – und bei ihr klingt jeder Song nach einem Hit – wurde schon beim Anklimpern frenetisch bejubelt. Wenn man bedenkt, dass vor ein paar Tagen die junge, wilde, aber noch relativ unbekannte Band Ikara Colt im Knaack sich vergeblich abmühte, auch nur ein paar Vereinzelte zum Kopfnicken zu bewegen, wird deutlich, wie einfach eigentlich der Job einer großen Band ist, die um ein stets hingebungsvolles Publikum weiß. Chris Martin, der gelegentlich am Klavier den Elton John mit Glenn-Gould-Geste machte und zur Aufheiterung aller genüsslich in Deutsch radebrechte, war zwar nie peinlich, aber ein wirklich souveränes Auftreten hätte man sich irgendwie anders vorgestellt.

Viel mehr ist dann nicht passiert – die Multimedia-Mätzchen und auch die Bildschirme, auf denen Chris Martin und seine Jungs in Großaufnahme zu sehen waren, damit die in den letzten Reihen ohne Binokel auskamen, kann man getrost vergessen. Eine tolle Band mit tollen Songs vor tollem Publikum legte eine lahmarschige Show hin.