vorlauf
: Beseelte Oberfläche

„Heiliges Blech“

(ARD, 22.15 Uhr)

Ein Auto, so hat es Bazon Brock einmal formuliert, ein Auto sei nicht bloß Auto, sondern beseelte Materie. Und beseelte Materie kann Herrn Beyer schon einmal zu Tränen rühren.

Tiefe Emotionen angesichts einer dunkelvioletten Kombi-Limousine: Herr Beyer ist eigens aus Berlin-Marzahn nach Bremen gereist, um den fabrikneuen Mercedes in Empfang zu nehmen. Das Tolle an der Wende, wird er später sagen, seien die Baumärkte und die Pkws. Aber Autos, da macht sich Herr Beyer keine Illusionen, blieben „eben auch nur Autos“.

Dass dem nicht so ist, davon will „Heiliges Blech“ erzählen. Indes, es gelingt der ARD-Reportage nur in seltenen, glücklichen Momenten. Denn um wirklich tief in die (beseelte) Materie einzudringen, ist Autor Lutz G. Wetzel zu sehr um die vermeintliche Würde seiner Protagonisten besorgt. Und um die wohlwollende Darstellung der Daimler-Chrysler AG, in deren Bremer Kundencenter er auf Kundenfang gegangen ist.

Bis zu 200 Neuwagen verlassen dort täglich das transzendente Dienstleistungsambiente. Ein Hunderttausend-Euro-Coupé für den Apotheker aus dem Westfälischen etwa. Oder zwanzig Streifenwagen für die iranische Polizei.

Gunter Henn, Architekt der Wolfsburger Autostadt und der Gläsernen Manufaktur in Dresden, hat die (Automobil-)Unternehmen unlängst als postreligiöse Sinnstifter für das 21. Jahrhundert benannt. Das Auto als motorisierter Messias mit Alcantara-Sitzbezügen. Ein „Heiliges Blech“ eben. Aber damit hat Lutz G. Wetzel seine tiefgründigste Analyse schon im Titel der SWR-Produktion plaziert. Anstatt jener spannenden Gemengelage aus Unternehmensstrategien und Kollektivmythen, aus Distinktion und Emphase nachzuspüren, genügt er sich in der Rolle des Zuhörers. Lauscht den PS-Fantasien des Herrn Weller. Erfährt, dass Herr Haasert seine Gattin niemals hinters Steuer lassen würde.

Doch bevor jene Klischees zur essenziellen Erkenntnis gerinnen könnten, wählt Wetzel den Weg in die Floskel. Immer wieder fokussiert die Kamera die glänzenden Lackierungen der noblen Neuwagen. Weit unter die Oberfläche ist sie nicht gekommen. CLEMENS NIEDENTHAL