Raumstation droht finanzieller Absturz

Die Euphorie über die Internationale Raumstation ISS ist verflogen. Die Kosten für das Projekt sind nicht mehr in den Griff zu bekommen

„Ein wunderbarer Tag für unseren Planeten, für die ganze Menschheit“, schwärmte der ehemalige Nasa-Chef Dan Goldin vor gut zwei Jahren, am 31. Oktober 2000, als die erste ständige Besatzung der Internationalen Raumstation ISS ins All startete. Auch andere Raumfahrt-Politiker überschlugen sich damals vor Begeisterung. Nun werde nie mehr ein Tag in der Geschichte der Menschheit vergehen, an dem nicht einer ihrer Vertreter im Weltraum sei, hieß es allenthalben.

Inzwischen ist von der damaligen Euphorie nichts mehr übrig geblieben. Die Kosten für die Raumstation explodieren. Das Projekt wächst ihren Betreibern über den Kopf. Kürzlich schlug der russische ISS-Projektleiter Waleri Rjumin deshalb vor, die Raumstation doch einfach zeitweilig dichtzumachen.

Am 5. Dezember wollen die Raumfahrtagenturen der fünfzehn an der ISS beteiligten Länder auf einem Gipfeltreffen in Tokio über die Zukunft der Raumstation diskutieren. Es wird das dritte derartige Treffen in diesem Jahr sein. Das Dilemma: Die ISS-Betreiber müssen sparen. Tun sie das, wird die Raumstation ihren Zweck als Forschungslabor der Spitzenklasse nicht erfüllen können.

Ärger mit den Kosten hatte es von Anfang an gegeben. Ursprünglich waren einmal acht Milliarden Dollar für den Bau der ISS veranschlagt worden, später sechzig Milliarden. Jetzt rechnen Experten mit hundert Milliarden Dollar und mehr.

Letztes Jahr zog deshalb der größte ISS-Betreiber, die US-Raumfahrtagentur Nasa, die Notbremse. Der von der US-Regierung als Sparkomissar eingesetzte Nasa-Chef Sean O’Keefe kündigte drastische Kürzungen des ISS-Budgets an. Denn die geplante US-Beteiligung in Höhe von fünfzehn Milliarden Dollar könnte auf das Doppelte anwachsen. O’Keefe strich unter anderem den Bau des ISS-Rückkehrraumschiffs CRV, mit dem die Besatzung bei einem Notfall zur Erde zurückfliegen kann. Damit ist der Plan hinfällig, dass in Zukunft sieben Astronauten auf der ISS arbeiten. Nur das „Crew Return Vehicle“ könnte bei einem Notfall sieben Besatzungsmitglieder aufnehmen. Gegenwärtig dient der ISS-Besatzung eine russische Sojus-Kapsel als Notschiff. Die jedoch bietet nur drei Personen Platz.

Mit drei Astronauten auf der ISS, wie es derzeit der Fall ist, verkommt die Raumstation zu einem teuren Spielzeug ihrer Betreiber: Statistisch werden allein 2,6 Astronauten benötigt, um die Station am Laufen zu halten. Für die Wissenschaft bleibt kaum Zeit. Da die USA und Russland die Hauptgeldgeber der ISS sind, könnten andere ISS-Beteiligte ihren Forschungsanteil bei einem Drei-Astronauten-Szenario praktisch streichen. Gegenwärtig stehen wegen der Instandhaltungs- und Bauarbeiten an der ISS ohnehin nur wenige Stunden pro Woche für wissenschaftliche Experimente zur Verfügung.

Das Sparvorhaben des Nasa-Chefs löste denn auch die bisher schwersten Verstimmungen unter den fünfzehn ISS-Partnern aus. Inzwischen hat die Nasa zwar teilweise nachgegeben und will zugunsten des ISS-Budgets darauf verzichten, für die überalteten Shuttle-Raumfähren modernere Nachfolger zu entwickeln. Doch die Frage, ob die ISS-Besatzung künftig aus mehr als drei Personen bestehen wird, ist damit noch nicht geklärt.

Denkbar wäre eine Sechser-Besatzung – wenn statt nur einem zwei Sojus-Raumschiffe ständig an die ISS gekoppelt würden. Möglich ist es. Nur: Russland hat kein Geld für den Bau der Sojus-Kapseln. Es will seine halbjährlichen Flüge zur Raumstation, bei denen die Kapsel jeweils ausgetauscht wird, künftig sogar einschränken. Hinzu kommen auch Geldsorgen bei anderen ISS-Beteiligten: Japan kann sein Experimentmodul aus Kostengründen nicht fristgerecht liefern, Brasilien, das ursprünglich 16. ISS-Partner werden wollte, stieg im August ganz aus dem Projekt aus.

Angesichts dieser Lage fragen immer mehr Experten nach der Existenzberechtigung der ISS. Mitte September beispielsweise krisierte eine Arbeitsgruppe des angesehenen US-amerikanischen National Research Council, der Zweck der ISS sei unklar. Die Nasa solle entweder mehr in die Raumstation als Forschungslabor investieren oder aber aufhören zu behaupten, die ISS sei ein Wissenschaftsprojekt. Auch ehemalige russische Kosmonauten klagten schon: Russland hätte mehr davon gehabt, seine Raumstation Mir zu modernisieren, anstatt sie zugunsten der ISS in den Pazifik stürzen zu lassen.

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