berliner szenen Bloodball mit H.

Orks und Menschen

Manchmal bewunderte ich H., weil er einen Stapelfahrerführerschein hat. Wir hatten uns Anfang der Neunziger zum letzten Mal gesehen. Immer noch hing an seiner Haustür die vergrößerte Kopie eines Comicbilds von Reiser: ein unrasierter Mann in schlabbriger Unterwäsche. Aus der Unterhose hängt eins seiner Eier, in der Gedankenblase steht: „Glückliche Menschen gehen mir auf die Eier.“ Das war der streetcredible Wahlspruch von H. und ein Grund, weshalb er der Markteinführung von Ecstasy skeptisch gegenüberstand.

Eigentlich hatte er sich nicht sehr verändert. Nur leicht was zugelegt und das neue Fleisch auf seinem Gesicht, der Teil, der zuvor noch nicht da gewesen war, wirkte anfangs wie eine Maske über dem Vertrauten. Seine kleine höhlenhafte Wohnung, stilmäßig irgendwo zwischen Punk, Kiffer, Hippie und sehr eigenen Wohneinrichtungsmarotten (ein mit alten taz-Seiten tapeziertes Klo), begeisterte mich immer noch und sollte in einem Alltagsmuseum ausgestellt werden; mit uns beiden mit drin, wie wir da sitzen und Bloodball spielen.

Bloodball ist so ähnlich wie Football mit Würfeln und elf Spielern mit unterschiedlichen Wurf-, Fang-, Lauf- und Kampfeigenschaften. Ziel ist logischerweise der Touchdown. Das Regelwerk ist kompliziert; für Fortgeschrittene gibt es Varianten mit Schiedsrichterbestechung und Cheerleaderbeeinflussung. H. spielte am liebsten mit Orks, während ich Menschen bevorzugte. Wenn man gut spielt, verschwindet die Zeit irgendwann. Manche Spiele dauern Tage beziehungsweise Wochen; man weiß dann gar nicht mehr, wann man angefangen hat, und denkt kurz, dass man hier schon seit zehn Jahren sitzt, und wünscht sich, dass es draußen wieder Sommer ist. DETLEF KUHLBRODT