Zur Lage der Devolution

Mr. Lif rappt von Atompilzen und Teenagern, die sich wegen eines überfürsorglichen Vaters umbringen. Aber die drastischen Inhalte mildert er durch Lakonie und munteren Flow

von CHRISTOPH BRAUN

Entfaltet man das Booklet von Mr. Lifs CD „I Phantom“, erhält man einen Spielplan. Darauf abgebildet sind kunterbunte Embleme der sozialen Verhältnisse in den USA. Der Deckel des Kapitols markiert eine mögliche Haltestation, ebenso eine Spritze, eine Bibel, ein TV-Gerät oder eine Packung Pommes. Im Zentrum des Spielplans steht ein Mensch, in Anlehnung an Da Vincis goldenen Schnitt. Der Unterschied zur Originalzeichnung liegt im Bildhintergrund. Da steigt ein Atompilz in die Höhe.

Auf seiner Homepage kündigt Mr. Lif das Spiel zum Plan an. „Devolution“ soll es heißen und trägt damit die leicht nervenden Untertöne von „I Phantom“ ebenso im Titel wie die begrüßenswerten Besonderheiten dieser Konzeptplatte. In „Devolution“ schwingt etwas mit, was an europäische Kulturkritik der Marke „Untergang des Abendlandes“ erinnert. Der aus Boston stammende Lif lässt es sich nicht nehmen, mit dem Track „Earthcrusher“ ein nukleares Untergangsszenario zu zeichnen.

Erlebt wird der Weltuntergang von einer fiktiven afroamerikanischen Figur, der zu diesem Zeitpunkt, am Ende der Platte, sowieso alles egal sein kann. Diese Figur scheitert zu allen Zeitpunkten ihres Lebens. Der MC trägt dick auf: Er lässt seinen Antihelden einen Nine-to-five-Job schmeißen, nachdem der sich zu einem Nine-to-nine-Job ausgeweitet hatte. Als er endlich wieder mehr Zeit für seine Familie aufbringt, wird er zum überfürsorglichen Vater, dessen Tochter schließlich Selbstmord begeht.

So überbordend all das klingt, Lif findet schon in der Erzählform eine Milderung: Lakonisch, ja sogar fast gut gelaunt berichtet der Dreadlockträger vom drastischen Scheitern seines Phantom-Ichs. Diesen munteren Flow hat er sich seit ersten Veröffentlichungen vor vier Jahren immer in bester Gesellschaft erarbeitet. Erste Maxis erschienen unter anderem beim Beastie-Boys-Label Grand Royal. Auf Ozone Music veröffentlichte Lif dann ein Live-Album, mit dem er sich in der Umgebung von Saul Williams und dem Anti Pop Consortium verortete. Seit 2000 kamen stapelweise Maxis bei DefJux. Die letzte erschien in diesem Sommer und hieß „Emergency Rations“. Mr. Lif hört man gerne zu, nicht nur seines immensen Flows wegen. Spätestens seit er bei DefJux gelandet ist, sitzen auch die Instrumentals wie angegossen. Auf „I Phantom“ halten die mal spärlich-organischen Beats von Insight, mal die elektrisch geladenen Soundscapes von Labelchef EL-P die Spannung hoch. CHRISTOPH BRAUN

DefJux-Abend mit Mr. Lif, EL-P und RJD2, Knaack, Sonntag, 21 Uhr