Wer nicht fegen will, muss fühlen

Sozialhilfeempfängern geht es ans Geld – weil sie kein Kastanienlaub gesammelt haben. Neuköllns Sozialstadtrat Michael Büge (CDU) gibt sich einmal mehr als Vorreiter bei Kürzungen: „Das dient als Hinweis auf Pflichten“

Jetzt geht es den Sozialhilfeempfängern an den Kragen: Ihre Stütze wird gekürzt, wenn sie im Kampf gegen die Miniermotte kein Laub harken wollten. Die Motten-Aktionen von Senat und Bezirksämtern fanden von Mitte Oktober bis Anfang dieses Monats statt. Teilgenommen haben neben Sozialhilfeempfängern auch Freiwillige, Schüler und Kita-Kinder. Von den dazu aufgeforderten 600 Sozialhilfeempfängern griffen laut Beate Profé, Referatsleiterin für Stadtgrün und Freiraumplanung in der Senatsverwaltung, allerdings nur knapp die Hälfte zur Harke.

Neuköllns Sozialstadtrat Michael Büge (CDU) meldet bereits Vollzug bei gekürzten Sozialhilfen an – zumindest was die zweite Woche der Miniermotten-Aktion ab dem 21. November angeht. In dieser Woche wurden 66 Sozialhilfeempfänger zum Laubsammeln aufgefordert. Zwanzig von ihnen wurde nun laut Büge die Sozialhilfe um 25 Prozent gekürzt, weil sie unentschuldigt nicht erschienen seien. Vier weiteren hat Büge die Sozialhilfe einen Monat lang gänzlich gestrichen mit der Begründung, dass sie derlei Arbeitsaufforderungen schon mehrfach nicht nachgekommen seien.

Dieses Vorgehen ist nach dem Sozialhilfegesetz möglich, sagt Büge. Arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger müssten zumutbare gemeinnützige Arbeit leisten. Per Gesetz könnten sogar dreimonatige Kürzungen veranlasst werden, was laut Büge aber den Zweck der Kürzungen verfehle: „Das dient als Hinweis auf die Pflichten, nicht als Strafe.“

Auch in Steglitz-Zehlendorf droht laut Sozialstadtrat Stefan Wöpke (CDU) 73 Sozialhilfeempfängern die Kürzung ihres Geldes um ein Drittel, wenn keine plausiblen Erklärungen wie Krankschreibungen vorliegen. „90 Personen haben wir zum Laubeinsatz aufgefordert, nur 17 kamen“, resümiert Wöpke. Es dauere aber noch bis Anfang 2003, bis die Fälle geprüft seien. „In den nächsten Wochen werden die Betroffenen angeschrieben und Gespräche geführt. Dann wird entschieden“, so der Stadtrat. Auch hier drohe einigen die komplette Streichung der Unterstützung: „Wer zum wiederholten Mal nicht zur gemeinnützigen Arbeit erscheint, muss die Konsequenzen tragen.“

Ob er und Michael Büge damit im Recht sind, ist so eindeutig nicht: Schon bei den unterlassenen Zahlungen für die Träger der Behindertenhilfe in Neukölln verstieß Büge gegen gesetzliche Grundlagen und bezahlt inzwischen wieder.

Auch Dagmar Pohle (PDS), Stadträtin für Soziales in Marzahn-Hellersdort, hat Zweifel: „Mehr als 25 Prozent Kürzungen sind nicht möglich.“ Das gehe rein rechtlich nicht, ergänzt auch Siegfried Schuler, Sozialamtsleiter in Charlottenburg-Wilmersdorf. Im Bezirk von Dagmar Pohle wird in sieben Fällen geprüft, ob für einen Monat um ein Viertel gekürzt werden kann. „Wir machen das wohl abgewogen“, verspricht sie. „Dabei gilt natürlich erst einmal die Unschuldsvermutung. Das ist bei Sozialhilfeempfängern auch nicht anders als bei Landowsky im Bankenskandal.“

JÜRGEN SCHULZ