Miss-World-Wahl spaltet Nigeria

Religiöse Pogrome in der nordnigerianischen Millionenstadt Kaduna fordern über 100 Tote. Auslöser: der Miss-World-Wettbewerb in zwei Wochen. Aber auch die im kommenden April anstehenden Wahlen in Nigeria heizen das Klima an

von DOMINIC JOHNSON

Der bevorstehende Miss-World-Wettbewerb in Nigeria droht das Land in einen Religionskrieg zu stürzen. Radikale islamische Milizen haben in der nördlichen Stadt Kaduna Christen gejagt und nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) bis Donnerstagabend mindestens 105 Menschen getötet. Gestern rückten christliche Milizen in muslimische Stadtviertel ein, während dort die Gläubigen ihre Freitagsgebete hielten.

„Die Situation hat sich verschlimmert“, sagte Shehu Sani, Leiter der Bürgerrechtsgruppe „Civil Rights Congress“ in Kaduna. „Moscheen und Kirchen sind angezündet worden. Am Anfang waren Muslime für die Ausschreitungen verantwortlich, jetzt rächen sich die Christen.“ Eine 24-stündige Ausgangssperre ist über die Millionenstadt verhängt worden.

Auslöser der Gewalt war ein Artikel in der normalerweise wegen ihrer intelligenten Berichterstattung geschätzten Tageszeitung This Day am vergangenen Samstag, der muslimische Vorbehalte gegen die Miss-World-Wahl mit dem Argument konterte, der Prophet Mohammed hätte an den Schönheitsköniginnen aus 90 Ländern auch Gefallen gefunden. Radikale Islamisten zündeten daraufhin das Kaduna-Büro der Zeitung an. This Day entschuldigt sich mittlerweile täglich für den Artikel, der angeblich schon zurückgezogen war und nur versehentlich erschienen sei. Es nützte nichts: Islamistische Milizen mobilisierten ihre Anhänger per SMS und kontrollieren inzwischen mehrere Stadtteile.

Die Miss-World-Wahl, die am 7. Dezember in Nigerias Hauptstadt Abuja stattfinden soll, ist äußerst umstritten. International gibt es Boykottaufrufe, weil im Norden Nigerias das islamische Scharia-Recht gilt und zurzeit ein Todesurteil gegen die Nigerianerin Amina Lawal wegen Ehebruchs besteht. Sie soll gesteinigt werden, sobald das aus dem „Ehebruch“ hervorgegangene Baby nicht mehr gestillt werden muss. In Nigeria selbst halten viele Muslime den Wettbewerb für eine Provokation, vor allem da er mitten im Fastenmonat Ramadan stattfindet.

Die jüngste Gewalt ist allerdings nicht nach dem Geschmack der religiösen Autoritäten. Der Sultan von Sokoto, wichtigster islamischer Würdenträger des Landes, erklärte am Donnerstag: „Wir befinden uns im heiligen Monat Ramadan, der in Frieden und Gebet verbracht werden sollte.“ Die jungen Milizionäre in Kaduna scheinen unbeeindruckt zu sein. Die Stadt ist Teil der Frontlinie in den religiös-ethnischen Konflikten Nigerias, die seit Ende der Militärherrschaft 1999 über 10.000 Tote gefordert haben.

Im April 2003 stehen in Nigeria Wahlen an, und mehrere frühere Militärherrscher planen eine Präsidentschaftskandidatur, um den christlichen Präsidenten Olusegun Obasanjo aus dem Amt zu drängen und die Macht im Zentralstaat zurück in die Hände des Nordens zu legen. Sollten die Unruhen in Kaduna sich ausweiten, könnte Nigeria noch vor den Wahlen im Bürgerkrieg versinken.