„Ich bin der Realisator“

Seit 35 Jahren zeigt Anselm Dreher in Berlin „ungeliebte Kunst“. Den Aufbruch der 68er hat er dabei miterlebt. Seine Kritik am Mainstream führte zum Bruch mit der Gegenständlichkeit in der Kunst

Interview WALTRAUD SCHWAB

taz: 35 Jahre Galerie Anselm Dreher in Berlin – wie spricht das für Sie?

Anselm Dreher: Nun, natürlich wundert man sich, dass man die 35 Jahre durchgehalten hat, ohne zu sehr aus dem Gleichgewicht zu kommen in dem doch schwierigen Berlin.

Ist Berlin schwierig?

Sicher. Mein Programm war permanente Zuwiderhandlung. Es zeigte sich oft ein Mangel an Akzeptanz. Als ich meine Galerie gründete, setzte eine Art Gründerzeit für Junggaleristen ein. Wobei ich jetzt in der Tat der Nestor, der Älteste bin. Viele haben aufgegeben, sind weggezogen.

Hat Sie die Galerie mitunter an den Rand Ihrer finanziellen Existenz gebracht?

Unbedingt. Manche Jahre waren sehr hart.

Die 68er waren noch nicht, da gab es schon Ihre Galerie.

Die 68er haben sich ja schon angekündigt. Ich habe übrigens am gleichen Gymnasium wie Rudi Dutschke Abitur gemacht.

Mit Dutschke an der Schule gewesen zu sein, bedeutet nicht, etwas mit den 68ern zu tun zu haben. Wollen Sie sagen, die Ideen lagen in der Luft?

Beim Abitur 1960 noch nicht. Aber natürlich hat sich durch den Mauerbau viel verhärtet. In meiner Studentenzeit wurden Fragen an die Geschichte immer drängender, unabhängig von der Frage, die wir unseren Eltern stellten: „Was habt ihr damals eigentlich gemacht?“

Sie sind 1940 in Berlin geboren. Haben Sie die ersten Lebensjahre in Bunkern verbracht?

Mein Vater – sehr vermögend – hatte eine Villa außerhalb Berlins. Das war das große Glück. Die Existenz dieses Hauses mit Garten hat uns das Überleben vor 1945 und danach ermöglicht.

Sie haben Ihre Kindheit als unbeschwert in Erinnerung?

Na ja, ein russischer Tiefflieger hat schon nach mir geschossen. Und der Einmarsch der Russen, das war sehr angstbesetzt.

Die sind bei Ihnen ins Haus gekommen?

Natürlich. Ich kann mich noch erinnern, wie der Mercedes meines Vaters aus der Garage gezogen wurde und sich zwei Regimenter um diese Trophäe geprügelt haben.

Wie war es mit der Bedrohung der Frauen?

Das sind Schatten in meiner Biografie, die schriftlich belegt sind. Als kleiner Junge habe ich in einem Aufsatz genau so eine Situation beschrieben.

Vergewaltigung?

Ja. In dem Aufsatz habe ich das indirekt so wiedergegeben. Ich habe diesen Krieg als Vierjähriger bewusst erlebt und gespeichert. Er ist immer gegenwärtig.

Zu Ihrer Studentenzeit an der Hochschule der Künste wurde klar, dass die Starre der Wirtschaftswunderzeit durchbrochen werden muss.

Die Wirtschaftswunderzeit erlebte ich im amerikanischen Sektor hauptsächlich als Fan des AFN, Rundfunk für die amerikanischen Soldaten. Jazz, Swing – mit diesen Kulturen wuchs man auf.

Und Kunst in Berlin? Wer waren die Trendsetter damals?

Die Keimzelle zu meiner Studentenzeit war die Künstlergruppe „Großgörschen 35“ mit ihren gesellschaftskritischen Positionen. Fred Thieler, mein Professor, war ihr Förderer. Außerdem gehörten Karl Horst Hödicke und Markus Lüpertz dazu. Thieler war der liberalste Professor von allen. Ich studierte vorher bei einem anderen Malprofessor. Nachdem ich die Dokumenta 64 gesehen hatte, sagte ich dem, dass ich nicht mehr so malen könne, wie er uns das beibrachte. Daraufhin hat er mir gesagt: „Entweder Sie verlassen die Klasse, oder Sie bringen mir 100 Zoozeichnungen, um Ihr Testat zu bekommen.“ Das habe ich dann auch gemacht, aber es war klar, dass ich keine Sekunde länger bei ihm studieren konnte.

Sie wollten keine akademische Kunst mehr machen?

Ich wollte: „Überwindung“.

Sie haben Kunst und Pädagogik studiert und sich für die Vermittlerebene entschieden. Welche persönlichen Zerrissenheiten verbergen sich dahinter?

Das Kunstpädagogikstudium ist ein unglaublich gutes Rüstzeug. Wir haben Philosophie, Kunstgeschichte, alle Techniken, alle Disziplinen vermittelt bekommen. Die Entscheidung, was man daraus macht, ist dann höchst individuell. Der eine wird Künstler, der andere Lehrer, der dritte Kurator, der vierte was anderes.

Mit Zerrissenheit meine ich: Sie müssen Ihre künstlerischen Fähigkeiten einschätzen und sich daran orientieren?

Genau das ist es: die künstlerischen Grenzen. Das muss man am Ende entscheiden. Und als Lehrer zu arbeiten, also Staatsdiener zu werden, war für mich ohnehin undenkbar.

Sie wollten Ihr eigener Herr sein?

Auf jeden Fall.

Gleichzeitig haben Sie festgestellt: Als Künstler kann ich nicht bestehen?

Ich kann nur sagen, dass ich da eine hohe Bedenklichkeitsschwelle hatte.

Soll heißen, Sie haben Ihren eigenen Kriterien nicht genügt?

Ja. Das hat dann dazu geführt, dass ich eine Galerie mit Grafikverlag gegründet habe.

Ein Novum damals?

In Berlin einmalig.

Wie haben sich die politischen Entwicklungen, die sich in Ihrer privaten Entscheidung offenbar spiegeln, in Ihrer Galerie dann nieder geschlagen?

Ich hatte damals viel mit dem sehr engagierten Bildhauer Alfred Hrdlicka zu tun, der massive gesellschaftskritische Positionen einnahm. In seinem Arbeiten liefen 68er-Ideen, Protest gegen den Vietnamkrieg und Kritik am Morden der Nationalsozialisten zusammen.

Hrdlicka malt Bilder, auf denen Körper als zerstörte Einheiten abgebildet sind?

Genau. Damals hat er provozierende Grafikzyklen gemacht. Beispielsweise über Haarmann, einen Mörder aus den 20er-Jahren. Solche Positionen habe ich anfänglich gezeigt und diskutiert. Und die 68er-Bewegung: Natürlich war ich auch auf der Straße und habe Flugblätter verteilt.

Sie waren dabei?

Ja, obwohl ich mich nicht in den Vordergrund gedrängt habe. Anfänglich ging es erst mal ums Zuhören. Im Audimax. Rudi Dutschke.

Demonstrationen, der Tod von Benno Ohnesorg und die von Ihnen favorisierte Kunst am Beispiel Hrdlicka – beides Ausdrucksweisen, die den Körper zum politischen Inhalt machen. Sehen Sie eine solche Korrespondenz?

Kann man sagen. Als die Ohnesorg-Sache passierte, war das für alle Freunde eine der größten Erschütterungen, die wir in der damaligen Zeit erlebt haben. Danach habe ich auch versucht, die Leute auf der Straße agitatorisch zu erreichen. Das war aber bei mir keine „Dauerdemo“, sondern unmittelbare Betroffenheit.

Wenige Jahre später gibt es in Ihrer Galeriearbeit einen Bruch. Die Abwesenheit des Körpers – Sie verschreiben sich dem Minimalismus.

Das hat sehr viel mit der Berliner Kunstentwicklung zu tun. Da hat sich für mich ein Widerspruch gegen den Mainstream, diesen unerbittlichen Realismus, diese Gegenständlichkeit in der Kunst, die in Berlin sehr literarisch orientiert ist, gebildet. Ich stellte fest, dass ich das nicht mehr mittragen kann. Es gibt vom Vater der „Neuen Wilden“, Hödicke, ein Zitat: „Wo die Kunst nicht schildert, bleibt sie Anstrich.“

Das gefiel Ihnen nicht mehr?

Ich fing an, diese Monokultur kritisch zu betrachten. Es konnte nicht sein, dass es in Berlin nur dieses Leitmotiv in der Kunst gibt. Deshalb habe ich mich für die Abstraktion oder Ungegenständlichkeit, die sich im Minimalismus in der schärfsten Form strukturiert, entschieden. In meinen Augen bietet diese Kunst die größtmögliche Offenheit; sie engt den Betrachter nicht ein. Es ist allerdings so, dass der Betrachter auch gefordert wird.

Wie meinen Sie das?

Wenn ich ein Dix-Bild oder eines von Baselitz zum Beispiel betrachte, dann ist das natürlich eine opulente Darstellung von Dingen, die ich schnell erfassen kann. Im Gegensatz zu einer minimalistischen Arbeit, wo es um intellektuelle Zerlegung von Wahrnehmung geht. Da bin ich selber gefordert in meiner Überlegung. Was kann ich dazu beitragen? Wo kann ich antworten.

Was sind minimalistische Positionen?

Das kommt aus der amerikanischen Kunstentwicklung. 1966/67 gab es in New York eine Gegenbewegung zur Pop-Art. Das waren Künstler, die sich selbst vollkommen zurückgenommen haben, um dann sehr reduziert und sehr dezidiert mit dem Raum und dem Volumen von Raum umzugehen. Carl Andre, Donald Judd sind nur zwei von ihnen. In Berlin war das ungeliebte Kunst. Das Publikum konnte damit nichts anfangen.

Berlin war erstarrt zu jener Zeit? Eingemauert …

Eingemauert ja, aber es gab auch Kulturprogramme. Vor allem der DAAD hat wichtige Künstler eingeladen. Wer den Kontakt zu ihnen suchte, hatte eine hervorragende Möglichkeit, sich mit deren künstlerischen Positionen auseinander zu setzen.

In den 70er-Jahren haben Sie für solche Kunst einen Ort in Berlin geschaffen und es bis heute durchgehalten. Man nennt Sie „Überzeugungstäter“, ihre Galerie nennt man Trutzburg. Oder Trotzburg? Wer ist dieser Anselm Dreher, der auf so eine elegante Art provoziert?

Natürlich versuche ich, an der Oberfläche zu kratzen. Ich möchte die Betrachter und Betrachterinnen in gewisser Weise provozieren, selbst zu reflektieren. Ich möchte sie herausfordern. So einfach ist es nicht, dass man beim Betrachten nur etwas mitnimmt und nichts gibt.

Der Pädagoge – er will was im Sehen verändern?

Einmal im Sehen und dass wir uns über ein Kunstwerk unterhalten. Es entfaltet sich erst, je mehr ich mich damit auseinander setze.

Also: Nicht ein Bild angucken und sagen: „Oh, das ist hübsch“, sondern ein Bild sehen und im günstigsten Falle zu Ihnen sagen: „Ich verstehe es nicht“, und so ins Gespräch kommen.

Ja. Das ist der Punkt dieser Vermittlungsarbeit. Da schließt sich der Kreis.

Wenn Sie auf Kommunikation setzen, wer sind die Leute, mit denen Sie kommunizieren?

Besucher oder Künstler, mit denen man in der Galerie zusammentrifft.

Besucher? Ich stelle mir vor, dass die Leute reinkommen, gucken und kurz danach wieder verschwunden sind.

Die Galerie hat sicher eine sehr hohe Schwelle. In der Regel aber wissen die Leute, die hierher kommen, was sie erwartet.

Sie wollen vermitteln, haben aber eine Galerie mit hoher Schwelle – kommt dabei nicht elitäre Kommunikation heraus?

Dieser gewisse Elitarismus ist, wie bei jeder guten Kunst, auf der einen Seite da. Auf der anderen aber die Hoffnung, dass man Gesprächspartner findet, die sich solchen Dingen stellen.

Die finden Sie eher in den Künstlern?

Ja, Ich bin eine Leitfigur für die jüngere Generation von Künstlern und Galeristen geworden.

Ist ein guter Pädagoge auch ein Talentsucher?

Für mich ist es selbstverständlich, unmittelbar mit dem Künstler zusammenzuarbeiten. Eine der wichtigsten Arbeiten, die ich hier in den Räumen leiste: Ich gehe auf die Künstler zu und versuche, auch von mir aus, etwas beizutragen. Ich habe nicht nur das Forum der Galerie, sondern ich habe auch bestimmte Vorlieben. Die bringe ich zum Ausdruck. Ich gebe Impulse und ich führe die Konzepte auch manchmal aus. An dieser Stelle gilt: Ich bin der Realisator.

Gesellschaft, Kunst, Berlin – haben Sie auch ein Gespür dafür, wie sich Dinge entwickeln. Gesellschaftlich rumort es an allen Ecken und Enden. Wie glauben Sie, wird sich dies in der Kunst niederschlagen.

Die Bildende Kunst muss sich gesellschaftlichen Realitäten stellen. Sie sollte hellwach sein und Widersprüchlichkeiten aufnehmen. Das können auf den ersten Blick scheinbar unpolitische Metaphern sein. Ich hatte hier einmal eine bekannte französische Künstlergruppe, die Lichtobjekte über „Himmel“ machte. Da kam ein Besucher und sagte, das ist ja unglaublich, warum denn nichts als einen Himmel, und ging wieder. Viele Gespräche in diese Richtung gab es. Aber ich gucke seitdem mit anderen Augen in den Himmel. Selbsterfahrung durch ein Kunstwerk.

Minimalismus als Entdeckungsreise? Der Reisende sind Sie?

Es gibt immer etwas zu entdecken. Für sich. Für andere.