Generalabrechnung mit Berlusconi

Rund dreihunderttausend Menschen protestieren in Bari und Mailand gegen die italienische Regierung. In Cosenza gehen zehntausende gegen die Verhaftung von Globalisierungskritikern auf die Straße. Dort marschiert sogar der Erzbischof mit

aus Rom MICHAEL BRAUN

Mit zwei Massendemonstrationen protestierte am Samstag das oppositionelle Ölbaum-Bündnis gegen die Regierung Berlusconi. Knapp 100.000 Menschen folgten in Bari dem Aufruf der Mitte-Links-Parteien, während in Mailand zwischen 150.000 und 200.000 Personen zusammenkamen. Offizielles Ziel des Protests war der zur Zeit im Parlament verhandelte Staatshaushalt 2003, der dank der Kürzungen der Mittel für die Kommunen starke Streichungen bei den sozialen Dienstleistungen der Städte und Gemeinden mit sich bringen wird.

Weiter gehend aber wurden die Demonstrationen zur Generalabrechnung mit der Regierungspolitik. Ob der Umgang mit den Medien, die Justizreformen im Interesse des Ministerpräsidenten, der Umgang mit der Fiat-Krise oder rechte Schul- und Gesundheitsreform: Kein Thema blieb ausgespart.

Am schärfsten aber kritisierten alle Kundgebungsredner das Projekt der „Devolution“, das die Regierungsmehrheit in diesen Tagen verabschieden will: Auf Druck vor allem des Lega-Nord-Chefs Umberto Bossi sollen die Regionen die exklusive Gesetzesvollmacht auf den Feldern Gesundheit, Schule und Gemeindepolizeien erhalten. Die Mitte-Links-Parteien und die hunderttausenden Demonstranten sehen darin einen ersten Schritt zu einem unsolidarischen Föderalismus auf Kosten des Südens.

In diesen Sachfragen bestand volle Einigkeit. Auch die Tatsache, dass überraschend viele Jugendliche teilnahmen, dürfen die Chefs des Ölbaum-Bündnisses ebenso als Erfolg verbuchen wie den Brückenschlag zur Bürgerbewegung der „Girotondi“: Eine ihrer Vertreterinnen sprach am Samstag auf der Mailänder Kundgebung. Piero Fassino, Chef der Linksdemokraten, zollte in seiner Rede jener Bewegung ebenso wie den Gewerkschaften Tribut, die mit ihren Protesten der letzten Monate viel zum Wiedererstarken der Opposition beigetragen hätten.

Ein überraschend hohes Maß an Einheit wurde auch auf einer dritten Demonstration am Samstag erreicht: In Cosenza protestierten etwa 50.000 Menschen gegen die Verhaftung von zwanzig Globalisierungskritikern.

Dabei war nicht nur der harte Kern der Bewegung auf der Straße: An der Spitze des Zugs marschierte die Bürgermeisterin der Stadt, neben ihr waren zahlreiche Politiker der Linksdemokraten vertreten, ebenso wie die kalabrische Regionalorganisation des Gewerkschaftsbunds CGIL sich entschieden hatte, nach Cosenza statt nach Bari zu mobilisieren. Schon diese Tatsache, aber auch der festliche Empfang, den die Einwohner Cosenzas den Demonstranten bereiteten, machte deutlich, dass das politische Kalkül der dortigen Staatsanwaltschaft zum Bumerang geworden ist: Statt einige vorgeblich „Subversive“ zu isolieren und zu kriminalisieren, hat sie eine bis tief in katholische Milieus reichende Solidarisierungswelle ausgelöst – auch der Erzbischof Cosenzas stellte sich an die Seite der Inhaftierten.