Die Geräusche des Kapitals

Knisternde Chipstüten und geknautschtes Weißblech wider Marlboro, Nike und Disney: Unter seinem Alias Radio Boy vertont Matthew Herbert den Kampf gegen die Globalisierung – und verschenkt auf Konzerten seine neue CD

Niemand versteht es derart sympathisch, den Herstellungsprozess seiner Musik offen zu legen

von NIKOLA DURIC

Das Haus von Matthew Herbert ist voller Geräusche. In der Küche schäumt die Sängerin Dani Siciliano Milch mit einem Schneebesen. Im Bad quietschen die Füße seines Vaters in der Wanne und Herbert geht herum und nimmt alles mit seinem Mini-Disc-Recorder auf. Der Kopf von Matthew Herbert wiederum ist voller Personen. Da sitzt der verspielte Doctor Rockit, der auf all seinen Platten höflich „Hello“ und „Good Bye“ sagt. Da wartet sein altes Ego Wishmountain darauf, wieder einen Techno-Track zu produzieren; und schließlich ist da Herbert selbst, der House-Musik mit Worten herausgibt.

1996 erschien Doctor Rockits Doppel-10-inch Ready To Rockit. Schon damals war der Schauspielschüler Herbert stark von John Cages Schriften über Rhythmus beeinflusst, einem Aspekt von Musik, der in symphonischer Kompositionen kaum Raum fand. Herbert ärgerte sich – mit Cage – darüber, dass zeitgenössische Musik meist nur die Re-Arrangierung bestehender und altbekannter Melodiefolgen hervorbrachte. Beide erhofften sich, mit wild werdenden Rhythmen und Geräuschen aus dieser Sackgasse herauszukommen.

Herberts damaliges Elektronik-Jazz-Label, Clear, schickte ihn zusammen mit den Musikern des Wiener Cheap-Labels um Patrick Pulsinger auf Europa-Tournee. Während dieser Wochen nahm er unentwegt Geräusche aus seiner Umgebung auf: den Biss in einen Apfel, die Düsen eines startenden Flugzeugs, das Geschirrklappern im Wiener Café Belgrad. Vielleicht ist diese Verarbeitung seiner Umweltgeräusche der Grund dafür, dass Herberts Musik nie alt klingt, sondern vertraut und warm. Die Stücke unter dem Namen Wishmountain kündigten mit ihren Titeln die Quellen der Geräusche an: Auf der 1998er EP heißen die Tracks „Radio“ und „Video“. Noch heute füllt sich jede Tanzfläche bei dem einsetzenden Rausch-Geräusch eines kaputten Radios, dass seine Frequenzen in einem Hi-Hat-Gewitter sucht.

Solche Platten wissen auch Westbam und Sven Väth zu schätzen. Aber Herbert erklärt, dass sich Techno zu dieser Zeit schon auf dem absteigenden Ast befand und er selbst einfach zu spät hinzukam. Sein technoides Ego Whishmountain verabschiedete sich zu Gunsten des experimentierfreudigen Jungen Radio Boy, während Doctor Rockit die Politik für sich entdeckte. Auf der Platte Indoor Fireworks aus dem Jahr 2000 findet sich der Song „Hymnformation“, eine im Chor gesungene Anklage gegen das Informationsmonopol des australisch-britischen Zeitschriftenmoguls Rupert Murdoch. Auf dem Cover kommen Buchempfehlungen und die Aufforderung hinzu, die Sanktionen gegen den Irak einzustellen.

Natürlich bleiben diese Versuche der Politisierung von Tanzmusik irgendwo zwischen Bassbox und Biertheke hängen, aber niemand versteht es derart sympathisch, den Herstellungsprozess seiner Musik offen zu legen. So verzichtet Herbert zum Beispiel auf das Samplen von Soul und Jazz. In einem Manifest erklärt er, dass Börsengewinner wie Moby Millionen mit dem Benutzen von schwarzen Musikstücken machen, während die Originalinterpreten von Sozialhilfe leben müssen. Herbert besucht stattdessen Jazzworkshops und spielt die Sachen selbst ein.

Mit seinem wiederbelebten Projekt Radio Boy geht er jetzt gegen die Veröffentlichungspolitik und das Subventionsgebaren der Musikkonzerne vor. Die aktuelle Platte The Mechanics Of Destruction verschenkt er auf seinen Konzerten, und auf der dazugehörigen webpage, mit www. davor und .org dahinter, gibt er seine Kritik an der Globalisierung zum Besten. Die Stücktitel lesen sich wie die Topics eines Attac-Kongresses: McDonalds, Nike und Henry Kissinger. In den Linernotes zu „Hollywood“ empört er sich über die Beschäftigungspolitik von Disney, in „Marlboro and Bacardi“ kritisiert Herbert den süchtig machenden Tabak-Zusatz von Ammoniak und verurteilt Bacardis Masche, mit kubanischen Bildern zu werben und gleichzeitig die amerikanische Regierung zu einem Importverbot von kubanischem Rum zu bewegen.

Die Konzerte von Radio Boy sind die Vertonung von Marx‘ Empfehlung, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Herbert quetscht Coladosen, schüttelt Chipstüten, klopft mit Mikros gegen Stahlträger und nimmt das alles live auf. Dann schlittern Beats dazu, seine Steppschuhe tanzen die TomToms und sein Gesicht zeigt das verschmitzte Lächeln eines John Cage, der sich ins Vaudeville verirrt hat.

Freitag, 21 Uhr, Mojo; danach (ab 23 Uhr): The Mojo Revue