„Keiner will uns haben“

100 Menschen gedachten gestern in Syke des Opfers einer Selbstverbrennung. Der Vater einer Roma-Familie wollte gegen eine bevorstehende Abschiebung protestieren. Die Witwe und die fünf Kinder sollen dennoch nach Jugoslawien ausreisen

„Aber wo soll ich mit meinen Kindern leben, ohne dass sie krank werden?“

Syke – „Unser Vater hat sein Leben dafür gegeben, dass wir nicht abgeschoben werden. Wenn er gewusst hätte, dass wir trotzdem abgeschoben werden, hätte er sich nicht umgebracht.“ Der 14-jährige Miroslaw Redepovic grübelt über die Selbstverbrennung seines Vaters nach.

Am vergangenen Freitag hat sich der 34-jährige Rom Milos Redepovic im Foyer des Rathauses Syke mit Benzin übergossen und angezündet. Am Tag darauf starb er an seinen schweren Verbrennungen in der Uniklinik Hannover. Zurück lässt er seine Frau Lalya Redepovic, 32, und fünf Kinder im Alter von sieben bis 15 Jahren.

Geahnt haben sie nichts von dem Plan des Vaters, als dieser um acht Uhr „zum Zigarettenholen zur Tankstelle fahren wollte“, erzählt die Witwe gefasst. Auch mit den Mitarbeitern der Stadtverwaltung Syke hat er vor seiner Tat nicht mehr gesprochen. Diesmal nicht. Die Beamten kannten den Mann, der sich in den letzten sieben Jahren als Lata Aradinovic ausgegeben hatte, seit Jahren. „Er war immer freundlich, erzählen mir die Mitarbeiter aus dem Sozialamt, und er hat oft um eine schönere Wohnung und eine Arbeitserlaubnis gebeten“, heißt es aus dem Büro von Bürgermeister Harald Behrens.

Das Asylverfahren sei längst abgeschlossen, für die nächsten Wochen sei eine Abschiebung nicht geplant, gibt die Ausländerbehörde des Landkreises Diepholz Auskunft. „Die Familie hat sich über Jahre hinweg unaufrichtig gegenüber den Ausländerbehörden verhalten, hat nichts zur Klärung ihrer Identität beigetragen. Das ist widerrechtliches Verhalten“, sagt Fachdienstleiter Heinz Buchert.

1992 hatte die aus Belgrad stammende Familie in Hamburg erstmals Asyl beantragt, unter dem richtigen Familiennamen Redepovic. Als dieser Antrag abgelehnt wurde, tauchte die Familie für acht Monate in Deutschland unter und stellte dann erneut einen Antrag unter dem Namen Aradinovic. Doch auch mit diesem Antrag hatte sie keinen Erfolg und ist seit Jahren von Abschiebung bedroht. „Die Familie soll für die Verschleierung ihrer Identität abgestraft werden“, interpretiert Sozialarbeiter Rahmi Tuncer, Mitarbeiter von Pro Asyl, das Verhalten der Behörden. „Keiner will uns haben“, bringt es Lalya Redepovic auf den Punkt. Drei ihrer Kinder sind in Jugoslawien den Behörden nicht bekannt, sie haben demnach auch keine jugoslawische Staatsangehörigkeit.

Die Anwältin der Familie kennt die Lage der Roma in Jugoslawien. „Von Jobs sind Roma weitestgehend ausgeschlossen, für die ansonsten kostenlose Gesundheitsversorgung müssen sie zahlen, sie fallen kaum unter den Schutz des Gesetzes, werden in Zeltlagern zusammengepfercht“, sagt Anwältin Christina Bremme. Sie hofft, dass mit der Verabschiedung des neuen Zuwanderungsgesetzes die Familie von der Härtefallregelung Gebrauch machen kann. Das Asylverfahren werde nicht wieder aufgenommen, vermutet sie.

Für die Witwe und ihre fünf Kinder beginnt wieder eine Zeit der Ungewissheit. Bei Miroslaw schleicht sich Resignation ein: „Ich habe meinen Vater verloren. Was soll ich noch?“ Vor einigen Jahren hatte er noch die Hoffnung auf eine Lehre als Maler. „Aber man hat mir immer wieder gesagt, dass ich sowieso keine Chance auf eine Ausbildungsstelle habe. Da habe ich die Schule abgebrochen.“

Vor einigen Wochen hatte der Familienvater Zelte neben der Unterkunft der Familie in dem alten „Gasthof Deutsche Eiche“ aufgestellt, Betten und Matratzen nach draußen getragen. „Lieber draußen im Regen als in diesen Zimmern“, habe er gesagt, erzählt ein Freund der Familie, Misini Jasar. Selbst Rom, kennt er die Situation der Roma in Jugoslawien. „Wir werden wie Verbrecher behandelt“, klagt der junge Mann, der eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Deutschland hat und froh ist, in Weyhe leben zu können. Er hatte der Familie Redepovic noch bei der Renovierung eines Zimmers des Wohnheims geholfen. Jetzt ist der Schornstein undicht. Lalya Redepovic, die mehrere Jacken übereinandergezogen hat, schaut fröstelnd auf die nasse Wand. Weil in der Wohnung schon mal eine Wand feucht war, hatte die Stadtverwaltung das Dach reparieren lassen. „Ansonsten wird der Zustand durch die Bewohner beeinflusst“, heißt es aus dem Büro des Syker Bürgermeisters. „Für die Löcher in der Wand, durch die Ratten reinlaufen, können wir nichts. Dass wir mit sechs Familien zwei Badezimmer teilen müssen, nimmt uns die Privatsphäre“, sagt die 15-jährige Ruzica Redepovic. „Jetzt bekommen wir seit kurzem neben den Lebensmittelgutscheinen nicht mal mehr Bargeld. Die wollen uns hier weghaben“, sagt ihre Mutter und zieht die dicken Jacken noch enger um ihren mageren Körper. „Aber wo soll ich mit meinen Kindern leben, ohne dass sie krank werden?“

Um auf das Schicksal der Familie aufmerksam zu machen, haben Freunde und Bürgerinitiativen, darunter Pro Asyl, gestern Nachmittag einen Trauermarsch durch Syke organisiert, an dem rund 100 Personen, darunter viele Flüchtlinge aus Diepholz, teilgenommen haben.

Michaela Gerner