berliner szenen Fit, Bambi, Roibusch

Das falsche Leben

Im U-Bahnhof Alexanderplatz herrscht werktägliches Geschiebe. Große Frauen hängen an der Wand und stellen Fragen. „Bist du eine Yoganista?“, wollen sie wissen, „Konkurrierst du heimlich mit deinem Trainer?“, „Bist du eine Fitnesstouristin?“ Die Frauen sind eine Werbekampagne für einen global agierenden Sportartikelhersteller. Die Plakate hängen überall in der Stadt.

Eine blonde Passantin sucht sich ihren Platz auf dem Bahnsteig. Vor dem Bild der „Fitnesstouristin“ kommt sie zum Stehen, stellt ihre Einkaufstüten ab, guckt geradeaus auf die riesenhafte Frau, die angestrengt Gewichte stemmt. Ein diffuses Gefühl der Unsicherheit stellt sich ein. Die anderen Menschen auf dem Bahnsteig gucken auf den Boden oder an den Plakaten vorbei. Es riecht nach den Backwaren einer auf Bahnhöfe spezialisierten Imbisskette.

In der U-Bahn packt die Frau die BZ aus. Dort stehen Neuigkeiten über Michael Jackson. Bei seinem Besuch in Berlin anlässlich der Bambi-Verleihung hätte der Star fast sein Baby aus einem Fenster des Adlon geworfen. Später besuchte Jackson das Kulturkaufhaus Dussmann und kaufte ein Computerspiel.

Draußen vor dem U-Bahnhof fällt nebliges Dunkel über die Stadt. Die Frau geht in ihre Wohnung in einem Weddinger Wohnblock. Sie setzt sich auf die Ausziehcouch und trinkt eine Tasse von dem neumodischen Tee, den sie kürzlich im Drogeriemarkt gekauft hat. Die Sorte heißt Roibusch-Karamell. Sie schmeckt wie ein zu süßes Bonbon. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, den Chefs von „nikewoman.com“, Michael Jackson und den Lebensmittelchemikern der Teeindustrie einmal gehörig die Meinung zu sagen, dann würde die Frau das jetzt gerne tun.

KIRSTEN KÜPPERS