Auf die Barrikaden – und wieder herunter

Der Publizist Arnulf Baring rief die Deutschen zum Steuerboykott auf – und will auf einmal nichts mehr davon wissen

Ein wenig verdutzt war Sabine Christiansen am Sonntagabend dann doch. Warum hatte sie den weißhaarigen Herrn, der da plötzlich lospolterte, denn überhaupt eingeladen? Hatte Arnulf Baring die Deutschen nicht erst vorige Woche „auf die Barrikaden“ gerufen, in einem Zeitungsbeitrag zum Steuerboykott ermuntert, zu „aktivem und passivem Widerstand“, zu „empörten Revolten“?

In der Talkrunde wollte er von alldem nichts mehr wissen. Boykott und Barrikaden seien nicht das Thema, verkündete er auf einmal – eine solche Spaßdebatte lenke von den wahren Problemen doch nur ab. An der Lautstärke seiner Einlassungen änderte das freilich nichts. Im Duktus des geifernden Alten zog er unter dem Applaus des Publikums gegen das gesamte Parteiensystem zu Felde – so lautstark, dass sich der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) schon die Ohren zuhielt.

Für Lärm war schon immer gesorgt, wenn der heute 70-jährige Professor aus Berlin irgendwo auftrat. Allerdings wurden die Töne mit den Jahren immer schriller, und ihre politische Einfärbung verschob sich gewaltig nach rechts. Hatte das damalige SPD-Mitglied noch 1982 unter dem Titel „Machtwechsel“ ein durchaus wohlwollendes Buch über „Die Ära Brandt-Scheel“ herausgebracht, wurde er bereits ein Jahr später wegen seiner Wahlkampfhilfe für die FDP aus der Partei ausgeschlossen.

Immer mehr wurde der vermeintliche Niedergang Deutschlands zu seinem großen Thema, den er zeitweise im Verein mit jungrechten Historikern um den heutigen Immobilienfachmann Rainer Zitelmann bekämpfte. Für die „Reformunfähigkeit des Landes“ machte er in einem taz-Gespräch zu seinem 70. Geburtstag „diese ständige Beschäftigung mit Auschwitz“ verantwortlich. Und der FDP riet er schon lange vor der Möllemann-Debatte, sie müsse „rechts von der CDU tätig werden“.

Die historische Fachkompetenz, die Barings Einlassungen in der Öffentlichkeit Gewicht verschafft, kann er als studierter Jurist allerdings nur bedingt in Anspruch nehmen. An der Freien Universität Berlin lehrte er zunächst Politische Wissenschaft, bevor er 1976 zu den Historikern wechselte. Damit ist er neben dem Philosophen Ernst Nolte der prominenteste Seiteneinsteiger in der deutschen Geschichtswissenschaft. Aber anders als Nolte, der seine wissenschaftlichen Abwege mit unbeirrbarer Konsequenz beschritt, blieb Baring stets unbestimmt genug, um nicht aus den Talkshows verbannt zu werden.

Das Diffuse und Wolkige lag Baring stets mehr als die stringente Argumentation. So dienten auch die Vorlesungen, die er bis vor fünf Jahren hielt, nicht unbedingt der Wissensvermittlung. Vor einem Publikum, das überwiegend aus älteren Damen im Seniorenstudium bestand, dozierte der Mann mit dem Cäsarenhaupt in lockerem Plauderton über Gott und die Welt. Da konnte eine Doppelstunde über die Ostsiedlung des Mittelalters schon mal zu einem Exkurs über den deutschen Nationalismus geraten – „ich werde sehr missverstanden, ich werde dauernd als Nationalist bezeichnet“ –, um schließlich beim Stauferkaiser Friedrich II. zu enden. Ein „schöner Mann“ sei Friedrich gewesen, warf da beispielsweise eine Hörerin ein. „Jaja“, ergänzte Baring, „er hatte eine ausgemacht lockere Art mit Frauen.“

RALPH BOLLMANN