DIE FDP-SPITZE HÄLT IHRE WÄHLER FÜR BLÖD
: Möllemann muss erst genesen

Jürgen Möllemann gehört seit mehr als drei Jahrzehnten der FDP an. Mehrmals hätte es im Laufe dieser langen Zeit gute Gründe gegeben, ihn zum Parteiaustritt aufzufordern. Ein besonders passender Zeitpunkt wäre beispielsweise der letzte Sommer gewesen, als er mit latentem Antisemitismus auf Stimmenfang zu gehen versuchte. Damals hielten das allerdings auch manche seiner politischen Freunde für eine möglicherweise erfolgreiche Strategie, und deswegen fielen die inhaltlichen Distanzierungen allenfalls lauwarm aus.

Eine Wahlniederlage später ist alles ganz anders. Jetzt ist Möllemann an allem schuld, und zwar er ganz allein. Das FDP-Präsidium wirft dem einstigen Hoffnungsträger vor, er habe „im Alleingang die Grundachse der FDP gegen ihren Willen verschieben“ wollen. Das ist so dreist, dass es einem den Atem verschlägt. Erinnert sich jemand? Der Mann war als Minister einer schwarz-gelben Koalition im Gespräch! Und zwar noch lange nach seinen unappetitlichen Äußerungen, in denen er einzelnen Juden die Schuld am Antisemitismus zuschob. Im Alleingang? Von wegen. Die FDP-Spitze will ihre Klientel nicht nur für dumm verkaufen – sie hält ihre potenziellen Wähler offenbar tatsächlich für blöd. Sie wird wissen, warum.

Es ist verständlich, dass die so genannten Liberalen den Problemfall Möllemann so schnell wie möglich loswerden wollen. Zumal wenig spaßige Landtagswahlen vor der Tür stehen. Aber die Art und Weise, in der die FDP jetzt Land zu gewinnen versucht, ist unanständig. Nicht nur wegen der damit verbundenen intellektuellen Unredlichkeit, sondern auch aus menschlichen Gründen.

Vor einigen Wochen musste der 57-jährige Möllemann einer Herzerkrankung wegen stationär behandelt werden. Man kann diese Krankheit für vorgeschoben halten, man mag es unsäglich finden, dass sich Möllemann bis heute nicht selbst geäußert hat. Aber einem Parteipräsidium steht kein Urteil über den Gesundheitszustand von irgendjemandem zu. Jürgen Möllemann vor dessen offizieller Genesung ein Ultimatum zu stellen: Das gehört sich einfach nicht. BETTINA GAUS