Die ÖVP hat alle Spielplätze Haiders besetzt

Wolfgang Schüssel nahm in Kauf, dass sich seine Partei politisch immer mehr den Rechtspopulisten annäherte

WIEN taz ■ Wolfgang Schüssel hat seine Allianz mit Jörg Haiders FPÖ immer damit gerechtfertigt, dass er sie durch die Regierungseinbindung zähmen würde. Der Nimbus der frechen Protestpartei würde sich im sachpolitisch geprägten Alltag schnell verbrauchen. Weniger als drei Jahre später liegt die FPÖ in Scherben. Nicht einmal der Kärntner Jörg Haider will sich mehr seines Projekts annehmen. Wurde Wolfgang Schüssel also von der Geschichte freigesprochen?

Rückblickend mag man einen von Anbeginn angelegten Masterplan erkennen: In der öffentlichen Wahrnehmung waren die ÖVP-Minister kaum Auslöser großer Kontroversen. Mit Ausnahme von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, die überfallartig Studiengebühren einführte. Die unpopulärsten Maßnahmen, als dringend notwendige Reformschritte verteidigt, wurden vor allem in den freiheitlich geführten Ministerien vorangetrieben. Susanne Riess-Passer führte einen monatelangen Privatkrieg gegen den Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Hans Sallmutter, und ließ diesen letzten Endes per Gesetz abservieren. Sozialminister Haupt musste die Besteuerung der Unfallrenten und die Ambulanzgebühren auf seine Kappe nehmen. Verteidigungsminister Herbert Scheibner verteidigte vor allem den Ankauf der äußerst unpopulären Abfangjäger und drängte in die Nato. Justizminister Dieter Böhmdorfer zerschlug den international renommierten Jugendgerichtshof.

Insgesamt sechs freiheitliche Minister traten zurück oder mussten ausgewechselt werden. Jörg Haider wurde dabei immer nervöser. Je deutlicher die Umfragen zeigten, dass die ÖVP auf Kosten der Freiheitlichen zulegte, desto häufiger wurden die Störmanöver aus Kärnten. Wolfgang Schüssel saß alle Provokationen aus und baute das Image des unerschütterlichen Kanzlers auf, der allen Stürmen trotzt. Dort, wo es um Macht und Einfluss ging, setzte er sich immer durch: bei der politischen Umfärbung des ORF unter der Parole der Entpolitisierung, bei der Besetzung von Schlüsselpositionen im Verfassungsgerichtshof , in Botschaften und Aufsichtsräten.

Dass Jörg Haider die Regierung im September sprengte, war ein Befreiungsschlag, der im Desaster endete. Der Plan, im Wahlkampf mit den alten Hits wieder zuzulegen, schlug fehl, denn die ÖVP hatte inzwischen alle Spielplätze der FPÖ besetzt. Innenminister Ernst Strasser, der im kalten Oktober hunderte Asylwerber auf die Straße setzte, um sich aufwändige Asylverfahren zu ersparen, vollzog klassische FPÖ-Politik, aber ohne den entsprechenden Radau.

Wer sich vor einer gesellschaftspolitischen Liberalisierung unter Rot-Grün fürchtet, dem ist bei der ÖVP bestens bedient. Dabei nahm Schüssel in Kauf, dass seine christdemokratische Partei sich politisch immer mehr an die Rechtspopulisten annäherte und diese zuletzt fast aufgesogen hat. Dass einige Repräsentanten der alten ÖVP-Garde sich angewidert abwenden, mag den Erfolg des Kanzlers vorerst nicht schmälern. Ob ihn die Geschichte freispricht, muss sich aber erst zeigen.

RALF LEONHARD