Jörg Haider vor dem Absprung

Der Rechtspopulist scheint sich endgültig verabschieden zu wollen. Sein Rückzug macht den Weg frei für die Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition

aus Wien RALF LEONHARD

Jörg Haiders Bedarf an Politik ist gedeckt. Er will nach dem Debakel seiner FPÖ bei den Wahlen vom Sonntag nicht nur auf einen Wiedereinstieg in die Bundespolitik verzichten, sondern auch als Landeshauptmann von Kärnten zurücktreten. „Ich bin vom Ergebnis schwer betroffen und sehe darin auch ein Misstrauen mir gegenüber“, erklärte er gestern mittag via Radio Kärnten. Deswegen beabsichtige er, am Abend vor dem Kärntner Parteivorstand seinen Rücktritt einzureichen. Ihn doch noch umzustimmen hielt er für äußerst schwierig: „Die Karten sollen neu gemischt werden.“

Rücktritt vom Rücktritt?

Von Jörg Haider ist man emotionale Entscheidungen gewöhnt. Mitunter kommt der Rücktritt vom Rücktritt, bevor die Zeitungen mit der Rücktrittsmeldung in den Kiosken liegen. Doch diesmal haftet der Ankündigung etwas Endgültiges an. Vielleicht will er auch nur dem bereits angedrohten Sturz zuvorkommen. Denn SPÖ und ÖVP, die in Kärnten gemeinsam die Mehrheit haben, könnten das Popularitätstief des Landeshauptmanns nutzen, um ihn im Landtag vor den erst 2004 fälligen Wahlen zu kippen.

Haiders Lebenswerk glich nach den ersten Hochrechnungen am Wahltag einem Haufen rauchender Trümmer. Die Partei, die seit seiner Machtübernahme beim Innsbrucker Parteitag 1986 bei jeder Wahl zugelegt, zuletzt die ÖVP überholt und selbst an der Mehrheit der SPÖ gekratzt hatte, ist binnen weniger Wochen zu einer Schar von Schiffbrüchigen geworden, die sich freuen müssen, dass sie noch ein paar Zehntelpunkte über den Grünen zu liegen kamen. Seit den Nationalratswahlen 1999 hat die FPÖ nicht weniger als 770.000 Wähler verloren. Das sind fast zwei Drittel. Die meisten davon an den Koalitionspartner ÖVP. Für den Kanzlermacher Haider, der gehofft hatte, über diese Koalition letzten Endes selbst ins Kanzleramt einzuziehen, ist der Lebenstraum zerplatzt.

Für einen Mann, der es genießt, im Rampenlicht zu stehen, und der selbst aus seinem Ruf als politischer Berserker Befriedigung und Lebenskraft zieht, ist es schwer vorstellbar, sich ins Kärntner Bärental zurückzuziehen und sich dort dem Holzgeschäft zu widmen, das derzeit von seiner Frau Claudia verwaltet wird. Haider ist dank der von einem Nazi-Onkel geerbten Forstliegenschaft ein vermögender Mann. Doch dass er die öffentliche Beachtung braucht, wie ein Junkie seinen Schuss, hat er selbst immer wieder bewiesen. Deswegen taucht er vielleicht als Führerfigur der europäischen Rechtspopulisten wieder auf. Entsprechende Kontakte mit dem rabiaten flämischen Vlaams Blok und der separatistischen Lega Nord pflegte er zuletzt vergangenen Sommer am Kärntner Wörther See. Allerdings ist der 52-jährige Haider inzwischen vom Star der Euro-Rechten zum politischen Frührentner geworden.

Auf jeden Fall macht der Altparteiobmann dem Wahlverlierer Herbert Haupt den Weg zu einer Fortsetzung der Allianz mit Wolfgang Schüssel frei. Der noch amtierende Sozialminister hat zwar sein Wahlziel von 15 Prozent weit verfehlt, glaubt jedoch, die Partei könne sich „in der Regierung regenerieren“. Bei einer ersten Runde der Parteichefs in der Wahlnacht war er der Einzige, der dem Wahlsieger Schüssel Avancen machte. Für eine Regierungsbeteiligung wäre er sogar bereit, auf sein Ministeramt zu verzichten und den Fraktionschef im Parlament zu spielen, denn mit dem abtrünnigen Finanzminister Karl-Heinz Grasser will er nicht gemeinsam in einem Kabinett sitzen. Grasser war der FPÖ im Wahlkampffinale von Schüssel abgeworben worden.

Ob Schüssel das Angebot annimmt, ist noch ungewiss. Denn in der Rest-FPÖ dominieren deutschnationale Narbengesichter, fremdenfeindliche Aufwiegler und Freunde Saddam Husseins. So zeigte sich der Kanzler zunächst sehr zurückhaltend und betonte, dass er mit allen Parteien Gespräche suchen werde. Die Grünen jedoch hatten sich im Wahlkampf festgelegt, nur mit der SPÖ zu regieren, die SPÖ wiederum kündigte an, als zweite Kraft wolle sie in der Opposition bleiben. Dennoch ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Im Hintergrund bemühen sich maßgebliche Kräfte, eine schwarz-rote Koalition zu schmieden. Von einer großen Koalition erhofft man sich die notwendige politische Stabilität, die Österreich im bevorstehenden Konjunkturabschwung braucht.

ÖVP auf Partnersuche

Wiens Bürgermeister Häupl, einer der wenigen Sozialdemokraten, die sich über das Wahlergebnis in ihrem Bundesland wirklich freuen können, will eine Einigung mit der ÖVP nicht kategorisch ausschließen. Damit es Häupl gelingt, die Parteigenossen auf Koalitionskurs zu bringen, müsste Schüssel der SPÖ weit entgegenkommen. Wahlversprechen aber wie den Verzicht auf die Abfangjäger, die Streichung von Studien- und Ambulanzgebühren sowie eine offensive Arbeitsmarktpolitik kann sie ohne Glaubwürdigkeitsverlust nicht so leicht über Bord werfen.

Es werden also sicher einige Wochen vergehen, bis die künftige Regierung Gestalt annimmt. Vorerst sind die Parteien damit beschäftigt, ihre Wunden zu lecken und zu analysieren, was schief gelaufen ist. Jeder vierte Wähler entschied sich diesmal anders als vor drei Jahren. Die Wählerstromanalysen zeigen, dass die 770.000 der FPÖ verloren gegangenen Stimmen gleichsam im Paket zur ÖVP gewandert sind. Nur 135.000 fielen zurück an die SPÖ, ein geringer Teil an Grüne und Nichtwähler. Die konsequente Werbung um die Stimmen aus dem rechtspopulistischen Lager hat sich für Schüssel also voll bezahlt gemacht. Dabei dürfte das Beschwören eines rot-grünen Schreckgespenstes eine ebenso wichtige Rolle gespielt haben wie das Kanzlerimage. Die FPÖ verlor ihren Rang als größte Arbeiterpartei wieder an die SPÖ. Abgesehen davon hat die ÖVP in allen Wählersegmenten den ersten Platz erreicht.