Intim in Schleife

Arthur Schnitzlers „Reigen“ am Stadttheater Bremerhaven als Zwei-Personen-Stück: Die Kritik der bürgerlichen Doppelmoral fällt weg, statt dessen gibt‘s eine „Melancholödie“ über flüchtigen Sex

Ein Mann, eine Frau, weiche Jazz-Musik im Hintergrund. Sie und er sind alt. Beide gediegen gekleidet, sie in Lila, er im eleganten Anzug. „Mein schöner Engel“, sagt sie zu ihm, „bleib bei mir!“ Und schon beginnt das Spiel. „Wie heißt du denn?“, fragt er sie. Sie ist jetzt eine andere. Sie nennt sich Marie. Er wird zu Herrn Franz.

Weiß ausgeschlagen ist der Raum auf der Bühne des Kleinen Hauses im Stadttheater Bremerhaven, darin zwei Sitzblöcke, ein Sektkelch, Gläser, ein Plattenspieler. Christel Leuner und Roberto Widmer sind das alte Paar, das sich in einen Reigen der Erinnerungen hineinbewegt. Er ist nacheinander ein junger Herr, ein Offizier, ein Arzt, ein Schriftsteller, ein Graf, sie ist Prostituierte, Dame des Hauses, Diva, junges Mädchen, Hausangestellte.

1920 war Arthur Schnitzlers „Reigen“ ein Skandalstück, und die Berliner Uraufführung wurde vom preußischen Kulturminister verboten. Der literarische Seelenarzt Schnitzler hatte die Triebnatur des Menschen seziert und mit den wechselnden Begegnungen an wechselnden Schauplätzen gezeigt, wie sich das Karussell der intimen Berührungen quer zu den Schichten und Ständen der Gesellschaft dreht.

Weil die Kritik an der Doppelmoral des Wiener Bürgertums der vorletzten Jahrhundertwende heute kaum mehr sonderlich interessiert, verzichtet Gast-Regisseur Andre Bücker (Inszenierung und Ausstattung) auf alle gesellschaftlichen Impulse dieses Geschlechter-Reigens. So hat er gute Gründe, das Personal des Stücks auf zwei Personen zu reduzieren.

Ein Mann, eine Frau. Roberto Widmer, nonchalant, ein bisschen alter Dandy, ein feiner Herr, stets etwas distanziert, Christel Leuner, chamäleonhaft die große Dame, die eitle Schauspielerin, das kleine Mädchen, aber hinter allen Masken erscheint blitzartig die Angst vor der Einsamkeit. Der Rollenwechsel geschieht ohne Black, mitten in der Szene, mit winzigen Nuancen. Etwa: Der junge Herr: “Wie spät ist es?“ Sie zieht ihr Kleid ganz leicht von der linken Schulter: “Fünf Uhr“. Der junge Herr streicht ihr über die „schöne weiße Haut“. Schon steht die neue Szene.

In 10 Dialogen lässt Schnitzler Mann und Frau aufeinander treffen. Es geht niemals um Liebe oder um Treue. Es geht um Sex und flüchtige Berührungen. Das alles wird leicht, sehr vorsichtig und in strenger Stilisierung angedeutet.

André Bücker betont in seiner unaufgeregten, leisen - mit Jazz und Schlagern unterlegten - Inszenierung die Komik dieser Situationen, die er bis ins Slapstickhafte treibt. Denn was nicht mehr provoziert, was zum Beziehungs- oder wenigstens zum Medienalltag gehört, ist bei aller Traurigkeit vor allem komisch.

So bleibt der auf zwei alte Menschen reduzierte Reigen dennoch, was schon Schnitzler verlangte: Eine „Melancholödie“. Am Ende des Spiels stehen sich die beiden Alten gegenüber, ziehen ihre Mäntel über, verabschieden sich: “Gute Nacht“, sagt er, „Guten Morgen“, sagt sie. „Guten Morgen“, er horcht auf, „morgen“. Ja, dieses Spiel wird ewig weitergehen. Hans Happel

Vorstellungen am 1., 7. und 21.12. um 19.30 Uhr und am 5. und 13.12. um 20 Uhr