DIE FDP-FÜHRUNG SETZT AUF DEN POLITISCHEN PROZESS
: Möllemann und die Achse des Bösen

Unmittelbar vor dem Ablauf des Ultimatums, das Möllemann zum Parteiaustritt auffordert, ist der Führung der FDP plötzlich eingefallen, dass es sich bei der Flugblattaffäre in Wirklichkeit um einen politischen Richtungskampf handelt. Es seien, so der Ehrenvorsitzende Graf Lambsdorff, vor allem die mit dem Flugblatt zusammenhängenden „politisch-inhaltlichen Unternehmungen Möllemanns“, die seinen Austritt bzw. Ausschluss nötig machten. Jetzt erfahren wir die Neuigkeit, dass Möllemann, der Unternehmer, die politische Achse der FDP verschieben, dass er aus der Partei ein „rechtspopulistisches“ Unternehmen zimmern wollte, unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der „Partei des Rechtsstaats und der Bürgerrechte“.

Bis zum Spätsommer dieses Jahres sah es hingegen ganz danach aus, als ob die vorwärts stürmende Lokomotive der Liberalen über zwei Antriebsachsen verfügen würde: zum einen über die Westerwelle-Achse, um die sich die jungen, agilen, von Traditionen unbelasteten und trotz der Krise zukunftsfrohen Exponenten der New Economy zusammenschlossen, zum Zweiten die Möllemann-Achse, die den älteren, verschreckten, nationalistischen, fremdenfeindlichen und tendenziell antisemitischen Traditionen anhängenden kleinbürgerlichen Schichten die Richtung weisen sollte. In den letzten Wochen vor der Wahl brach bekanntlich die Möllemann-Achse, die Führung verlor die Nerven. Der Sprung zur Volkspartei mit zwei Gesichtern scheiterte.

Auch nach dem Desaster hielt die FDP zunächst am Projekt Volkspartei fest. Sie trug die Idee der Zweigleisigkeit von wirtschaftsliberaler und deutschnationaler Orientierung – nichts anderes kann „18 Prozent“ bedeuten – keineswegs zu Grabe. Schließlich gab und gibt es erfolgreiche Vorbilder, wenngleich sich das Bündnis so heterogener Kräfte bislang immer nur phasenweise behaupten konnte, vor allem im Zeichen des Erfolgs. Weshalb allein die Wahlniederlage dazu führte, dass man erneut freiheitliche Grundsätze plakatierte, sich von den antisemitischen Dumpfbacken zurückzog und den Hauptschuldigen Möllemann als Achsverdreher ausmachte. Doch so kann Spurenverwischung nicht funktionieren. CHRISTIAN SEMLER