Denken in Echtzeit

Theater als öffentliches Forum: für Politik und fürs Reden über Theater selbst. Die kanadische Performance-Gruppe PME ist mit ihrem neuen Stück „Unrehearsed Beauty/Le génie des autres“ auf Kampnagel zu Gast

Nach fast genau einem Jahr besucht die kanadische Performance-Theatergruppe PME erneut Kampnagel. Ihr Name ist genau wie die Spielweise des Ensembles auf verschiedene Weisen zu verstehen. So könnte die Gruppe um Jacob Wren „Post Mainstream Entertainment“ heißen oder „Process Means Everything“. Die Deutungsmöglichkeiten sind unendlich.

In ihrer letzten Produktion En Francais Comme En Anglais It‘s Easy To Criticize verhandelte die Gruppe das Thema „Authentizität“ auf der Bühne. Während eines Auftrittes hatte Jacob Wren Geburtstag, und die Schauspieler schenkten ihm einen Kuchen. Die Zuschauer glaubten dieser Inszenierung nicht und beschwerten sich lauthals über den einschmeichlerischen Versuch, Privatheit und Echtheit auf die Bühne zu bringen. Der Vorwurf lautete, dass jede noch so familiäre Feier auf der Bühne niemals ein richtiges Geburtstagsfest, sondern immer Theater ist. Die Schauspieler geiferten zurück, und das Ganze endete dann in einer recht charmanten Prügelei.

Ihr neues Stück Unrehearsed Beauty/Le génie des autres verzichtet diesmal auf eine lose Erzählweise. Tänze und Songs sind fast völlig verschwunden, dafür sitzen die Akteure nun herum, reden über verschiedene Themen und warten über lange Strecken, bis jemand das Publikumsmikrophon benutzt, um einen Komentar zum Thema oder zum Nicht-Geschehen auf der Bühne zu machen. PME bestehen auf eine Atmosphäre der größtmöglichen Offenheit. Die Bühne wird mit der Zuschauertribüne zu einem sozialen Raum, in dem kein fertiges Stück präsentiert wird, sondern Denken in Echtzeit.

In den Theater Kategorien der Kampnagel-Intendantin Gordana Vnuk gehören PME zu den Noblen Dilettanten. Die Schauspieler wissen zwar genau, was sie tun, erledigen ihren Job aber mit enormer Lässigkeit. Das Theater PME besteht zusätzlich aus erhöhter Aufmerksamkeit. Das Geschehen auf der Bühne ist eher mit Jagen oder Fischen zu vergleichen: Die Zuschauer beobachten jemanden über einen längeren Zeitraum, wie dieser aufmerksam wartet, um dann abzudrücken oder die Schnur einzuholen.

Gab es im letzten Jahr noch Musik vom Band und eingeübte Tänze, so weichen für die aktuelle Inszenierung Unrehearsed Beauty alle eingeübten Momente dem Ungewissen. Ein Kontrabassist spielt hin und wieder live mit einer Hobby-Violinistin. Und die Themen, über die geredet wird, ändern sich ständig, beziehen sich auf die aktuelle Politik oder das unkomfortable Gefühl, das entsteht, wenn man mal nicht unterhalten wird. Unrehearsed Beauty stellt den Versuch dar, das Theater in ein öffentliches Forum zu verwandeln. Die geführten Gespräche haben kein Ziel oder Limit, und so ist jeder einzelne Abend dieser Vorstellung völlig einzigartig und unberechenbar. Arsen Dedic

Do–Sa, 20.30 Uhr, Kampnagel