Zwischen UNESCO und Haushaltsnotlage

Heute will die Bürgerschaft eine „Erhaltungssatzung“ zum Schutz des Stadtbildes beschließen: Ein Verdienst des neuen Landesdenkmalpflegers, der auf anderen Feldern allerdings genug Probleme hat – zuwenig MitarbeiterInnen, zuviele nicht erfasste Denkmale und ein schlechtes Image

„Es könnte sein, dass wir weniger schaffen, als wir schaffen müssten“

Nach der Euphorie der siebziger Jahre muss Denkmalschutz heute allerorten unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Ein Gespräch mit Bremens neuem Landesdenkmalpfleger, dem Kunsthistoriker Georg Skalecki (43 Jahre), der sich als Vertreter einer „innovativen und flexiblen Denkmalpflege“ versteht.

Kurz nach Ihrem Amtsantritt vergangenen Oktober gab es Ärger: Die Bausenatorin wies der Denkmalpflege – offenbar ungerechtfertigt – die Schuld am verspäteten Beginn der Rathausfassaden-Sanierung zu. Drei Monate hing die Milkaplane umsonst davor. Das war ein undankbarer Start.

Das ist aber längst ausgestanden. Es lag definitiv nicht an der Denkmalpflege, trotzdem habe ich das niemandem übel genommen. Mein sehr offensiver Versuch, vernünftig mit allen Partnern ins Gespräch zu kommen, ist gelungen. Das Klima mit Stadtplanung und Baubehörde und vielen anderen hat sich deutlich verbessert. Wir müssen uns gegenseitig in unseren Aufgabenstellungen respektieren. Insbesondere mit dem neuen Senatsdirektor Bodemann ist ein sehr kommunikatives Verhältnis entstanden.

Ihre Hannoveraner Amtskollegin sagt gerne: „Denkmalpflege ist kein Harmoniegeschäft.“ Wo eckt die Bremer Denkmalpflege konkret an?

Die Erweiterung des Havenhöövt in Bremen-Nord ist so ein Problemfall: Die hat solche Ausmaße angenommen, dass ich deutlich sagen muss: Es geht nicht mehr. Der Vegesacker Speicher droht in der Umbauung zu versinken. Der Dissenz ist die Ultima Ratio, aber nicht das Wunschziel. Letztlich muss dann der Kultursenator als oberste Denkmalschutzbehörde entscheiden, er hat dann die Abwägungspflicht. Ich beziehe die wirtschaftlichen Belange auch in meine Stellungnahmen mit ein, aber der Senator muss sie stärker noch berücksichtigen als ich.

Wobei doch wohl die Gefahr der Leisetreterei besteht – man kann sich doch nicht sein eigenes Gewicht nehmen.

Das ist eine Gratwanderung. Einerseits müssen wir am Image des Denkmalpflegers – „wenn der kommt, geht gar nichts mehr“ – arbeiten. Aber wenn die Grenze des Erträglichen überschritten ist, müssen wir hart bleiben.

Vor zehn Jahren waren in Bremen erst 1.200 von geschätzten 4.000 kulturhistorisch bedeutsamen Bauten erfasst und damit geschützt. Wie steht es heute?

Wir haben 1.550 eingetragene Kulturdenkmäler. Zur Zeit schaffen wir pro Jahr ungefähr ein Dutzend Unterschutzstellungen. Letztlich ist das zu wenig. Allerdings kommt die 4.000er-Schätzung aus früheren, optimistischen Jahren. Ich gehe eher von 2.000 bis 3.000 aus. Die Masse der Denkmäler besteht aus Wohnbauten, und die haben wir mittlerweile gut im Überblick.

Trotzdem: Die Schere zwischen dem Erfassten und dem zu Erfassenden wird offenbar immer größer. Schließlich kommt ja immer etwas nach.

Es könnte sein, dass wir weniger schaffen, als wir schaffen müssten. Der Druck, weniger unter Schutz zu stellen, ist sehr groß. Das liegt an den überall herrschenden Haushaltsnotlagen und dem stärkeren Widerstand von Investoren. Dann muss man sich manchmal notgedrungen auf das Wichtigste zurückziehen.

Das Unterschutzstellungsverfahren ist ein schwieriges System: Die Denkmäler werden nicht einfach nachrichtlich aufgenommen, sondern per Rechtsakt eingetragen. Das ist in der Tat kein abgeschlossener Prozess. Man braucht natürlich eine gewisse zeitliche Distanz, um etwas bewerten zu können. Aber nach etwa dreißig Jahren müssen wir uns ganzen Dekaden neu zuwenden.

Dazu kommt, dass es immer noch einige klassische Kulturdenkmäler wie das Goethetheater gibt, die gar nicht unter Schutz stehen. Das waren Objekte, bei denen man sicher sein konnte, denen passiert nichts Schlimmes. Da gab es in Bremen eine Art „Gentleman Agreement“ zwischen Baubehörde und Denkmalschutz: Bei bestimmten herausragenden Objekten in Landeseigentum verzichten wir auf das aufwändige Unterschutzstellungsverfahren.

Ich möchte das nicht aufkündigen. Aber angesichts der ganzen Privatisierungsbestrebungen, durch die viele ehemals städtische Objekte an Gesellschaften fallen, die wiederum marktwirtschaftlich denken müssen, sollte man nacharbeiten und das Abkommen mit einer gewissen Rechtssicherheit untermauern.

Da drängt sich das Beispiel Stadthalle auf.

Ja. Aber selbst wenn die Stadthalle formal den Denkmalstatus hätte, den sie unstrittig verdient, hätten wir uns mit unseren Forderungen wahrscheinlich nicht durchsetzen können.

Warum?

Denkmalschutz bedeutet kein absolutes Veränderungsverbot. Das soll und muss man übrigens allen Denkmaleigentümern von vornherein klar machen, um ihnen die Sorge und uns den Widerstand zu nehmen. Wir müssen versuchen, eine innovative Denkmalpflege zu etablieren, mit der man Denkmäler auch in einen Umwandlungsprozess hineinführen kann. Bei der Aufstockung der Stadthalle geht das allerdings ohne Frage zu weit. Dort werden wirklich die wichtigen, denkmalrelevanten Aussagen der Dachkonstruktion verloren gehen.

Der wirtschaftliche Druck auf den Veranstaltern, konkurrenzfähig zu bleiben, ist so groß, dass der Belang des Denkmalschutzes hintanstehen muss. Einige Retuschen habe ich durchsetzen können, zum Beispiel die stärkere Abrückung des seitlichen Neubaus, so dass die Stadthalle einen Hauch ihres Solitärcharakters bewahren kann.

Eine Lorbeere, die Sie aus Saarbrücken mitbringen, ist die erfolgreiche Anmeldung der Völklinger Hütte zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wie ist der Stand der Bremer Bewerbung?

Wir hatten mit dem Gutachter sehr konstruktive und schöne Gespräche. Ich hatte den Eindruck, wir konnten ihn überzeugen.

Er wurde also drei Tage lang mit Engelszungen beredet.

Wir haben versucht, sehr objektiv zu bleiben. Es nutzt nichts, wenn man irgend etwas vorgaukelt. Wir haben das Rathaus vom Keller bis zum Dachgebälk angeguckt. Auch die Vorgehensweise der Sanierung hat ihn sehr überzeugt.

Ungünstig ist allerdings, dass die UNESCO derzeit versucht, die großen kulturellen Staaten in der Quantität ihrer Objekte etwas zurückzufahren.

Europa stellt ja auch bereits die Hälfte aller Objekte.

Ja. Den Ausgleich sollte man unterstützen und respektieren. Günstig ist, dass Bremen dieses Jahr der einzige Antrag der Bundesrepublik ist. Außerdem liegt die Gesamtzahl der Anmeldungen bei 27 - und 30 können eingetragen werden. Das sieht dann ganz positiv aus. Im Juni 2003 entscheidet die UNESCO-Vollversammlung.

Seit kurzem wird der UNESCO-Kandidat Marktplatzensemble allerdings von einem Bürohausklotz überragt. Hätten Sie das nicht verhindern müssen?

Die Pläne waren schon abgeschlossen, als ich kam. Aber die Marktplatzansicht wird nach Abschluss der Arbeiten weitgehend der Historie entsprechen. Der aufragendeTeil wird mit adäquaten historischen Materialien kaschiert. Manchmal bleibt nichts anderes übrig. Wir dürfen keine K.O.-Bedingungen stellen. Tchibo würde ohne eine vernünftige Erschließung niemals in dieses schwierige Objekt einziehen. Wenn ein Eigentümer sein Objekt nicht vernünfig vermarkten kann, verfällt es. Das kann auch nicht mein Interesse sein.

Anderes Beispiel: Die Häuser am Wall. Mitte der Neunziger Jahre wurde ihnen eine Überdachung vorgelagert, die der damalige Denkmalpfleger als „Unterschenkelamputation“ kritisiert hat. Jetzt wurden zwei der Gründerzeithäuser abgerissen. Wieviel Einfluss hat der Denkmalschutz in Bremen überhaupt?

Die Objekte waren stadtbildprägende, schöne Häuser, aber sie hätten für eine Unterschutzstellung nach Denkmalrecht nicht ausgereicht. Wir hatten also nur eingeschränkte Mitsprachemöglichkeiten. Nachdem mir wieder so ein bisschen der Buhmann zugeschoben wurde, habe ich auf die Möglichkeit einer Erhaltungssatzung nach Paragraph 172 Baugesetzbuch verwiesen, um das Stadtbild zu pflegen. Während die Denkmalpflege sehr genau auf die Originalität der Bausubstanz achten muss, kann man mit einer Erhaltungssatzung einiges leichter genehmigen.

Also: Wenn die Bürgerschaft die Erhaltungssatzung früher beschlossen hätte, würden die Häuser noch stehen, oder zumindest die Fassaden?

Ich denke schon.

Die Bremer Denkmalpflege ist in der Öffentlichkeit, auch im Internet, nicht besonders präsent. Woanders ist der alljährliche „Tag des offenen Denkmals“ ein Volksfest.

Mittlerweile haben wir Förderinformationen für Denkmalbesitzer im Netz, wir beraten ja auch und vermitteln Zuschüsse. Ab kommendem Jahr wollen wir auch eine eigene Publikation herausbringen. Dem „Tag des offenen Denkmals“ stehe ich sehr offen gegenüber, der ist in der Tat ein bisschen auf Sparflamme gelaufen. Nächstes Jahr werden wir das ein bisschen anders anpacken und ein reichhaltigeres Programm anbieten.

Zur Zeit wird landauf, landab die Ausdünnung des denkmalpflegerischen Sachverstandes beklagt. Ihre eigene Stelle wurde drei Jahre lang nicht besetzt.

Ich bin niemand, der unrealistische Maximalforderungen stellt, aber mit acht Mitarbeitern sind wir ein unterbesetztes Amt. Deswegen müssen wir Outsourcing betreiben. Dabei sind wir wiederum auf Mittel der „Stiftung Wohnliche Stadt“ angewiesen.

Glücklicherweise konnten wir jetzt ein großes industrie-archäologisches Büro damit beauftragen, uns bei einer Bewertung der Hafenreviere zu unterstützen. Wir werden also den Europa-, den Frei- und den Holzhafen dokumentieren – um festzustellen, was von außergewöhnlicher Bedeutung ist und in Umgestaltungsprozesse einbezogen werden sollte.

Was für Schätze schlummern da denn, abgesehen vom Speicher XI?

Da gibt es noch einiges. Das Gutachten wird erst kommenden Juni vorliegen, aber im Bereich des Fabrikenhafens etwa ist vorstellbar, dass Industriekomplexe und Lagerhäuser so herausragend sind, dass man versuchen sollte, sie zumindest exemplarisch zu schützen.

Auf welche Bremer Besonderheiten sind Sie bisher gestoßen?

Es gibt ein großes Geschichtsbewusstsein, das ich so aus dem Saarland nicht kannte. Allerdings macht sich das nicht so sehr an Objekten fest. In der Vergangenheit war man oft bereit, Dinge zu vergessen und wegzuwerfen, um Innovationen zu ermöglichen. Jetzt müsste es uns gelingen, das grundsätzliche Traditionsbewusstsein auch auf die Substanz zu übertragen.

Interview: Henning Bleyl

Gelegenheit zur Diskussion besteht heute Abend im Anschluss an den Vortrag des Landesdenkmalpflegers („Strategien der Denkmalpflege“, 20 Uhr) in der Architektenkammer (Geeren 41/43)