Operation Brainstorm

Wie ein Skandal die Bundesrepublik erschütterte und trotzdem alles gut wurde

Die Affäre begann mit dem Verschwinden der RAF-Gehirne aus der Uniklinik Tübingen. Dann entdeckte man auf dem Kampener Friedhof das geplünderte Grab Rudolf Augsteins, dem fachmännisch der Hirnnervenkern herausoperiert worden war.

Eine Woche später knackten dreiste Diebe die Asservatenkammer der Berliner Charité und ließen zwei Formalingläser mit den Köpfen von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck mitgehen. Die Polizei stand vor einem Rätsel, schloss aber „nach derzeitigem Kenntnisstand“ die Täterschaft islamischer Terrorbanden aus. Das änderte sich schlagartig, als tags darauf der Stern ein psychologisches Gutachten im Fall Möllemann veröffentlichte. Tenor: „Jürgen Möllemann nicht schuldfähig. Der Politiker habe sein Hirn bereits im Jahre 1993 meistbietend versteigert.“ Zum Preis von 2,3 Milliarden Mark seien damals diverse regierungseigene Denkapparate über einen Schweizer Mittelsmann in den Irak und nach Syrien gegangen. Möllemann kenne die Namen von 25 Spitzenpolitikern, die in das Geschäft verwickelt gewesen waren. Das Geld sei, so Möllemanns Anwalt, „für den Aufbau Ost verpulvert worden“.

Seitdem steht die Republik Kopf. Die CSU-Fraktion klagte beim Bundesverfassungsgericht, um die letzten drei Bundestagswahlen für ungültig erklären zu lassen, der Bund der Steuerzahler forderte eine umfassende neurologische Untersuchung sämtlicher Abgeordneter in Stadt-, Kreis-, Landes- und Bundesparlamenten, die Zeitungen schrien „Skandal!“. Es sollte sich binnen Wochenfrist zu weltweitem Wutgeheul steigern.

Auslöser war ein Bericht des arabischen TV-Senders al-Dschasira. Der Streifen spielte im Militärkrankenhaus von Basra und zeigte einen Chirurgen beim Abwiegen zweier Mittelhirne, an deren Rändern deutlich lesbar die Ettiketten „Axel Schulz“ und „Westernhagen“ klebten. Sodann wühlte er sich mit dem Skalpell durch die limbischen Systeme, um auf der dorsalen Fläche des Hirnstammes genau zwischen den oberen Erhebungen der Vierhügelplatte die Zirbeldrüsen herauszutrennen. Anschließend schob der Operateur die radieschengroßen Organe zwischen die Mühlsteine einer Olivenpresse und fing das gewonnene Schmalz in Konservendosen auf, die den Aufdruck „German brainstorm“ trugen. Wie der Kommentar erläuterte, verarbeitet der Irak seit Jahren und mit Wissen der Regierungen Kohl und Schröder deutsche Hirnmasse, um einen biologischen Kampfstoff zu destillieren, welcher in der Lage ist, die Willkürmotorik eines Aggressors zu hemmen. Deshalb habe die US Army im letzten Golfkrieg kurz vor Bagdad stoppen müssen.

Sofort nach der Ausstrahlung trat Georg Bush vor die Presse, erklärte den Prager Handschlag für ungültig, die BRD zum Schurkenstaat und ließ drei Flugzeugträger Kurs auf den Jadebusen nehmen. Gerhard Schröder und Joschka Fischer verteidigten den Export als deutschen Sonderweg der Konfliktvermeidung und volkswirtschaftlich vernünftige Alternative. Immerhin habe die Bundeswehr den irakischen Kampfstoff erfolgreich in Bosnien, Afghanistan und in Korea, speziell im Halbfinale der WM, angewendet.

Die Umfragen geben der Regierung Recht. Schlagartig sind Rezession und Depression vergessen; die Nation steht wieder hinter Gerhard Schröder wie Rudi Völler hinter Carsten Janker. Nur die dem Transatlantischen Bündnis verpflichtete Bild mochte noch nicht folgen und titelte: „Deutschland fasst sich an den Kopf. Immer öfter ist nichts drin.“

Aus dem Gesundheitsministerium verlautet, der Eingriff sei tatsächlich völlig harmlos und werde seit der Einheit routinemäßig im Rahmen von Blinddarmentfernungen vorgenommen. Da die Suche nach exportfähiger deutscher Hirnsubstanz aber immer schwieriger werde, müsse im nächsten Jahr mit Beitragserhöhungen gerechnet werden. MICHAEL QUASTHOFF