„Kann wie Kunst aussehen“

Alvar Freude und Dragan Espenschied, Studenten der Merz-Akademie Stuttgart, programmieren mit Andreas Milles gemeinsam Websites, die Demonstrationen gegen die Zensur sein wollen

Interview DIETMAR KAMMERER

taz: Ist der Computer eine politische Waffe?

Andreas Milles: Der Computer ist eine Tüte. Was wir reinpacken, bestimmen wir. Ich habe nur das Gefühl, dass in Zukunft immer weniger drin sein wird.

Euer Programm „insert_coin“ hat an der Merz-Akademie Stuttgart die Anzeige von Dokumenten im Webbrowser manipuliert. Dafür habt ihr gleich einen internationalen Kunstpreis gewonnen. Dann habt ihr den Düsseldorfer Regierungspräsidenten verklagt, weil er Naziseiten sperren ließ. Seid ihr nun Programmierer, Künstler oder politische Aktivisten?

Alvar Freude: Weder – noch; und alles zusammen. Wir bemühen uns, unsere technischen Fähigkeiten und Kenntnisse mit unseren netzpolitischen Anliegen zu verknüpfen. Das Endergebnis sieht dann in manchen Augen gelegentlich wie Kunst aus – wenn das Netzkunst ist, den Menschen heikle Themen möglichst präzise und optisch angenehm nahe zu bringen, freut uns das! Im Übrigen ist Kunst für mich persönlich etwas, was im Wesentlichen eine inhaltliche Aussage transportieren und nicht nur schön aussehen soll.

Die Website odem.org/insert _coin ist völlig schmucklos gestaltet. Dient das der Medienkompetenz?

Dragan Espenschied: Die Gestaltung des Interface für Computerprogramme ist nicht nur eine Frage der Ästhetik oder Ergonomie. Jede Oberfläche einer Software beeinflusst die Vorstellung davon, wie ein Computer oder das Internet funktioniert. Eine einfache und transparente Struktur, die konsistent aufgebaut ist und nicht versucht, an den falschen Stellen originell zu sein, gibt den Anwendern die Möglichkeit, etwas damit anzufangen. Die Kontrolle liegt beim Benutzer. Überall werden lieber Virenfilter installiert, als einfach mal klar zu machen: Lest erst mal, was euch der Computer vorsetzt, und wenn ihr euch nicht sicher seid, was das bedeutet, dann drückt nicht auf den O.-k.-Knopf, sondern versucht herauszufinden, um was es geht. Die Aufgabe von Interface-Designern sollte es sein, den Benutzern das benötigte Wissen nahe zu bringen und es nicht hinter Multimediablödsinn zu verbergen.

Gilt das auch für die Netzkunst?

Dragan Espenschied: Netzkunst kann alles mögliche sein. Dass sie in letzter Zeit größtenteils von Grafikdesignern bestimmt wird und sich nur noch mit der visuellen Oberfläche befasst, ist allerdings extrem schade. Dass solche Sachen beliebter sind als andere, lässt sich mit der allgemein verbreiteten, verzerrten Vorstellung vom Netz erklären. Netz ist für die meisten ja irgendwas mit Browserfenster außenrum.

Alvar Freude: Das interessante am Netz – und damit auch an Netzkunst – ist doch, dass man die Nutzer aktiv einbinden kann, dass sie nicht nur konsumieren, sondern wirklich partizipieren. Der gesamte Inhalt des „Assoziations-Blasters“ wurde von den Nutzern erstellt, und nach unserer Erfahrung lernen viele durch solche Projekte, mit dem Internet umzugehen. Leider wird dies viel zu selten genutzt.

Das Nachfolgeprogramm heißt „OmniCleaner“ und ist eine Parodie auf die zahlreichen Forderungen, all das aus dem Internet zu entfernen, was irgendjemand gerade für anstößig oder gefährlich hält. Es leitet den Aufruf unerwünschter Adressen gleich an die Polizei weiter. Wird eine so rabiate Zesursoftware tatsächlich benutzt?

Alvar Freude: Viele denken wirklich, dass wir den OmniCleaner einsetzen wollen, finden das unterstützenswert und füllen dann auch das Formular aus. Sie bedenken einfach nicht die Nebenwirkungen, und zuerst einmal hört sich das ja auch durchaus toll an! Computerfreaks bezweifeln gelegentlich, ob er überhaupt funktioniert. Der alte Gedanke, das Internet bewege sich um alle Zensurversuche herum, ist da immer noch verbreitet. Das System wäre aber allen Unkenrufen zum Trotz einsetzbar, wenn wir es wollten.

Andreas Milles: Es gibt aber auch eine Reihe von Leuten, die darauf hereinfallen und uns gleichzeitig Beleidigungen an den Kopf werfen oder zumindest Bereitschaft zum Widerstand gegen eine solche Software signalisieren. Das finden wir natürlich gut und hoffen, dass noch mehr den Mut haben, die Mittel des Netzes zu nutzen und sich direkt mit den Machern solcher Angebote auseinander zu setzen.

Nach der Düsseldorfer Sperrverfügung gegen Naziseiten habt ihr ein Diskussionforum zur Informationsfreiheit eingerichtet, das zeitweise von einem Verein zur Legalisierung der Pädophilie in Beschlag genommen wurde.

Alvar Freude: Wir haben auch davon nichts gelöscht, denn ich sah dazu keinerlei Veranlassung. Das waren zwei Stimmen von rund 14.000, und es ist wichtig, sich mit solchen Menschen in der Öffentlichkeit auseinander zu setzen, statt sie im stillen Kämmerlein werkeln zu lassen.

Andreas Milles: Administratoren müssen eigentlich überhaupt nichts tun, wenn die User, die mitmachen, selbst Paroli bieten. Dann fällt so was unten durch. Wir sind gegen technische Filter, das gilt überall – nicht aber gegen einen individuellen Filter. Den muss man selber einstellen und dabei genau überlegen, mit welcher Information man sich auseinander setzen, welche man verbreiten, auf welche man ganz verzichten will. Dummheit lässt sich am effektivsten eindämmen, indem man sie ignoriert.

Als Systemadministratoren sitzt ihr selbst am längeren Hebel. Wird das Netz immer auf dem guten Willen einiger weniger beruhen?

Alvar Freude: Natürlich, das ist das, was wir mit „insert_coin“ aufzeigen. Es heißt immer, das Internet sei nicht kontrollierbar, alle Daten könnten frei fließen, niemand könne es zensieren. Aber dies sind und waren eben ganz bewusste Entscheidungen, die auch revidiert werden können. Deswegen muss der Wille da sein, das Internet als weltweites Kommunikationsmedium zu akzeptieren, statt es unnötig einseitigen, kommerziellen Interessen unterwerfen und die eigene Rechtsauffassung der ganzen Welt aufzwingen zu wollen.

Andreas Milles: Wäre das Internet völlig frei und unbegrenzt, wäre es wertlos. Weil in unserer traditionellen Sichtweise erst durch eine Raumbegrenzung eine Raumqualität und ein Raumwert entstehen kann. Nun scheint das Internet tatsächlich unbegrenzt zu sein. Konzerne und auch politische Entscheidungsträger erkennen das, teilweise mit großer Furcht, und versuchen, den wilden Fluss zu begradigen. Eine Folge davon ist, dass wir für einen künstlich erzeugten Mangel Geld bezahlen: für das Surfen an sich, für hochwertige Information oder bloß für die Übertragung von Daten – wen bezahlen wir da eigentlich?

Niemand kann die 14.000 Kommentare in eurem Forum lesen. Geht das Konzept der unbegrenzt freien Diskussion nicht an seiner eigenen Masse zugrunde?

Alvar Freude: Es muss Mechanismen geben, die Meinungen zu sortieren und zu ordnen. Da Computer grundsätzlich dumm sind, liegt es an den Nutzern, die Bewertungen vorzunehmen. Es liegt an der Software, hier eine Auswahl zu ermöglichen. Sie kann dabei unterstützend eingreifen und eine entsprechende Umgebung bieten. Wir sind dabei, ein solches System umzusetzen.

Andreas Milles: Wir versuchen nicht, alle Meinungen zu hören oder zu veröffentlichen. Wir versuchen, die Stimmen zu sammeln und Meinungen zu bündeln. Wie auf einer echten Demo, wo irgendwann mal ein Sprechchor draus wird.

Werden Onlinedemos die Demos auf der Straße ersetzen?

Alvar Freude: Nein, auf keinen Fall. Sie können nur eine Ergänzung sein.

Andreas Milles: Die Frage umzukehren ist interessanter: Kann ein reines Onlinethema wie eben unseres den Weg auf die Straße finden? Wir haben im April bei der Netzzensur-Demo in Düssledorf festgestellt, dass es geht. Aber nicht von allein. Und auch noch nicht mit der Masse, die man sich erhoffen würde.