Gentech-Lobby klopft in Brasilien an

Der neue Präsident Lula da Silva soll den Hunger mit Gensoja bekämpfen. Landlosenbewegung dagegen

PORTO ALEGRE taz ■ In Brasília gab sich George W. Bushs Lateinamerikabeauftragter Otto Reich als Menschenfreund: „Der Kampf gegen den Hunger ist entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung“, flötete der exilkubanische Falke aus dem US-Außenministerium nach seinem Treffen mit dem gewählten Präsidenten Lula. „Wir werden alles Erdenkliche tun, um Brasilien zu helfen.“

Der kürzlich mit großer Mehrheit gewählte Luiz Ignacio „Lula“ da Silva hatte nach seinem Sieg Ende Oktober ein Programm gegn Armut und Hunger versprochen. Mehr als 50 Millionen Brasilianer leben unter der Armutsgrenze.

Welche Interessen die US-Regierung in dieser Frage auch verfolgen wird, hat die Folha de São Paulo nun aufgedeckt: Bereits mehrfach habe sich der Saatgutmulti Monsanto an José Graziano gewandt, den Koordinator von Lulas Antihungerprogramm. Der Einsatz gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft könne Brasilien „helfen, den Hunger auszurotten,“ meint Monsanto-Manager Harvey Glick. Nicht nur dank „höherer Produktivität“, sondern auch durch die Entwicklung besonders resistenter Getreidesorten für den trockenen Nordosten.

Gerichtlich verboten

Mit ihrem Vorstoß möchte die Gentech-Lobby offenbar ihre Chancen unter der neuen Regierung ausloten. Aufgrund mehrerer Gerichtsurteile sind der kommerzielle Anbau und die Vermarktung gentechnischer Lebensmittel in Brasilien bereits seit vier Jahren untersagt – gegen den Willen der damaligen Regierung Cardoso, die zudem jahrelang vom US-Außenministerium unter Druck gesetzt wurde. Dieses De-facto-Moratorium ist der Erfolg eines breiten Bündnisses aus Umweltschützern, Verbraucherverbänden und sozialen Bewegungen, die der Arbeiterpartei (PT) nahe stehen.

Seine Skepsis gegenüber Gentech sei nicht „dogmatisch“, reagierte José Graziano. Doch er hätte gerne „Beweise“ dafür, dass ihr Einsatz weder gesundheits- noch umweltschädlich sei. Zudem konnte Brasilien mit seinem genfreien Soja auf den europäischen Märkten punkten. Diese „privilegierte Position“ wolle man nicht aufgeben, sagte der Agrarexperte.

Schlechtes Vorbild

Deutlicher wurde die Senatorin der Arbeiterpartei Marina Silva, deren Gesetzentwurf für ein fünfjähriges Gentech-Moratorium jetzt wieder auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt wird. Es sei naiv, von der Gentechnik eine Lösung des Hungerproblems zu erwarten, meinte Silva, die als zukünftige Umweltministerin gehandelt wird. Ihr Parteifreund Jorge Viana, der Gouverneur des Amazonas-Bundesstaates Acre, warnte vor den „Opportunisten, die nur an Profit denken“.

Die Landlosenbewegung MST lehnt den Monsanto-Vorstoß vor allem aus sozialen Gründen ab. Die Freigabe der Gentechnik würde „zwei oder drei Firmen das Monopol für die Vermarktung des Saatgutes garantieren“, sagt MST-Koordinator João Paulo Rodrigues. Dadurch würden die Kleinbauern geschädigt, die Einkommensunterschiede und letztlich auch das Hungerproblem verschärft.

Ein Blick ins benachbarte Argentinien, wo der Gentechnik seit Jahren Tür und Tor geöffnet sind, scheint diese These zu bestätigen: Dort wurde der Niedergang der kleinbäuerlichen Landwirtschaft durch neoliberale Maßnahmen weitaus radikaler beschleunigt als in Brasilien. Extrem ist die Verelendung gerade in ländlichen Regionen. Nach offiziellen Angaben verhungern jeden Tag drei Kinder.GERHARD DILGER