Hans Eichel und der Lügen-Ausschuss

Der Untersuchungsausschuss „Wahlbetrug“ hat nur ein Ziel: dem Finanzminister zu schaden. Das könnte gelingen

BERLIN taz ■ Kritik am Finanzminister ist auch bei den Regierungsfraktionen en vogue. Zu schnell habe Hans Eichel (SPD) die Horrorliste der geplanten Kürzungen bei den Steuersubventionen ins Internet stellen lassen, heißt es beispielsweise neuerdings bei den Grünen. „Das war nicht abgestimmt“, sagt ein Mitglied der Fraktion, „ein Fehler“. Danach sei die verhängsnisvolle Diskussion um unausgegorene Ideen und ihre Rücknahme erst so richtig losgegangen.

Auch Eichels eigene Fraktion lässt sich nicht lumpen. „Er spürt nicht mehr, wenn’s an die Nerven geht“, argwöhnen sozialdemokratische Fraktionäre. Sie sind etwa mit dem im Hause Eichel geplanten niedrigen Steuersatz von 15 Prozent auf Aktienverkäufe gar nicht zufrieden und wollen im Bundestag eine Erhöhung durchsetzen – zusammen mit den Grünen.

Manches, was dieser Tage an Unmut auf die Regierung einprasselt, wird intern in Richtung des Finanzministers umgeleitet. Und der Druck von außen ist beträchtlich. Steuerlüge, Wahlbetrug, Verschuldung, Wachstumskrise. Im Vorfeld der Landtagswahlen von Niedersachsen und Hessen wird besonders heftig bei Eichel abgeladen. Der hessische Ministerpräsident und Wahlkämpfer Roland Koch (CDU) tönt: „Das war Betrug.“ Am kommenden Montag wird nun die Unionsfraktion im Bundestag beschließen, einen Untersuchungsausschuss „Wahlbetrug“ einzusetzen. Der Hüter des Bundesschatzes, so der Vorwurf, habe vorher sehr genau gewusst, was er erst hinterher zugab, und damit die Wähler über das normale Maß hinaus bewusst getäuscht.

Dieser Angriff geht nicht ins Leere. Noch in seiner Haushaltsrede vor dem Bundestag am 12. September 2002 erklärte Hans Eichel: „Nach 21,1 Milliarden Euro in 2002 bleibt es für 2003 bei der geplanten Neuverschuldung von 15,5 Milliarden Euro. An diesem Wert können wir festhalten.“ Wenige Wochen später, unmittelbar nach der Wahl, war das alles nicht mehr wahr. Die notwendige Verschuldung für 2002 stieg auf 34,6 Milliarden Euro, und die im Maastricht-Vertrag festgelegte Verschuldungsgrenze wurde, entgegen den früheren Beteuerungen, meilenweit verfehlt.

Dass den Experten des Finanzministeriums schon geraume Zeit vor dem 22. September klar war, in welche Richtung der Zug rollt, wird auch in der rot-grünen Koalition nicht ernsthaft bestritten. „Alle haben es geahnt“, sagt eine Abgeordnete. Und jeder, der wollte, konnte es auch nachrechnen. Das von Eichel selbst eingeräumte Haushaltsdefizit von 2,5 Prozent plus der Fehlbeträge bei der Bundesanstalt für Arbeit, der Rentenversicherung und der Ausfälle bei der Körperschaftsteuer ergab ein Loch, das weit größer war als die im Maastricht-Vertrag erlaubten 3 Prozent.

Zu seiner Verteidigung führt der Finanzminister nun zwei Argumente ins Feld. Der Bundeskassenwart dürfe sich nicht auf Prognosen, sondern nur auf aktuelle, belegbare Zahlen verlassen. Und diese, so Eichel, hätten eben erst mit der Steuerschätzung von November vorgelegen. Allerdings wäre der oberste Zahlenfuchs kein erfahrener Politiker, wenn er nicht Sicherungen eingebaut hätte. Bei jeder Gelegenheit betonte Eichel: „Der Haushalt 2002 ist auf Kante genäht.“ Sollte heißen: Passiert irgendetwas, kann ich für nichts garantieren.

Die Fragen „Was wusste Eichel?“ und „Musste er es verkünden?“ werden sich im Ausschuss nur schwerlich über den jetzigen Erkenntnisgrad hinaus beantworten lassen. Es existiert auch keine juristische Messlatte, um über den Vorwurf des Wahlbetrugs zu richten. Mit dem Instrument des Ausschusses zielt die Opposition denn auch vornehmlich auf den Propagandaeffekt.

Angesichts der politischen Gefechtslage – der Defensive der Regierung, namentlich ihres Finanzministers – sind die Aussichten nicht schlecht, dass das gelingt. Eichels Position würde dadurch weiter geschwächt. Schon jetzt will manch einer nicht mehr auf die Zukunft des einst hoch gelobten Finanzministers wetten. Das Ende einer Karriere könne bald kommen, ist aus der SPD zu hören. Zum Beispiel dann, wenn Eichel einräumen müsse, dass sein großes Ziel, der ausgeglichene Haushalt im Jahr 2006, nicht mehr zu erreichen ist. HANNES KOCH