Ein übersehener Beruf

Marina Prüfer arbeitet seit zehn Jahren als Gerichtszeichnerin. Ihre Skizzen aus den so genannten Politbüro-Prozessen gegen die DDR-Führung werden jetzt im Polizeipräsidium ausgestellt. Doch von ihrem Beruf leben kann die 47-Jährige nicht mehr

von KIRSTEN KÜPPERS

Ein Weihnachtsbaum steht im Foyer, trägt schwer an seinem Schmuck. Es ist früh am Tag und das Polizeiorchester spielt einen Slow-Fox. Ein bisschen müde, ein bisschen feierlich, so ist die Stimmung an diesem Morgen in der weiten Eingangshalle des Polizeipräsidiums am Platz der Luftbrücke. Ein paar Polizeibeamte schlendern umher, einige Freunde der Künstlerin sind gekommen, ein Staatsanwalt, ein Fotograf, nicht allzu viele. Der Polizeipräsident stellt sich ans Mikrofon, hält eine kurze Rede, lobt die Künstlerin, die Bilder an der Wand. Noch ein Lied, dann packen die Musiker ihre Instrumente schon wieder ein. Und so schnell und farblos wie diese kleine Ausstellungseröffnung gestern ablief, so flüchtig und ohne nennenswertes Aufsehen, so scheint es Marina Prüfer mit ihrer Kunst überhaupt zu gehen. Die 47-Jährige ist Gerichtszeichnerin. „Ein übersehener Beruf“, sagt sie.

Dabei hat Prüfer bei den großen Prozessen gearbeitet. In der Verhandlung um den Anschlag auf die Diskothek „La Belle“ hat sie gezeichnet, als Helmut Kohl um die Geheimhaltung seiner Stasi-Akte kämpfte, als spektakuläre Doping-Fälle vor den Richter kamen. Bei den so genannten Politbüro-Prozessen saß Marina Prüfer im Saal 700 des Kriminalgerichts Moabit den einstigen DDR-Machthabern gegenüber: Erich Honecker und Egon Krenz, Ex-Stasi-Chef Erich Mielke und dem früheren DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler. Und jene Skizzen der DDR-Führung sind es auch, die Prüfer jetzt im Foyer des Polizeipräsidiums aufgehängt hat. Vor zehn Jahren begannen die Politbüro-Prozesse. Ein Anlass, der für eine Ausstellung reicht.

Damals hat Marina Prüfer ihre Bilder von Honecker und Mielke an Zeitungen verkauft. Denn wie in allen Gerichtssälen herrschte auch hier Fotografierverbot. Dennoch zahlt sich ihr Beruf inzwischen kaum aus. Nur gelegentlich leisteten sich Medien heute noch eine Gerichtszeichnung, erzählt sie. Mittlerweile arbeitet Prüfer nebenberuflich als Medienpädagogin, dreht Videos mit Jugendlichen.

Ihr Interesse an den Politbüro-Prozessen war ein persönliches. Es geschah im Juni 1976, dass die Bauzeichnerin des Berliner VEB Ingenieurbüros „Baureparatur“ einen Entschluss fasste. Mit ihrem sechsjährigen Sohn war Marina Prüfer damals in den Kofferraum eines Opel-Ascona gestiegen und hatte sich von einem Fluchthelfer über die Transitautobahn in den Westen schleusen lassen. Seither beschäftigt sie sich kontinuierlich mit der deutsch-deutschen Geschichte. Aus privater Neugier ist sie dann in den Gerichtssaal gegangen.

Die dabei entstandenen Bleistift- und Tuschezeichnungen halten eindrücklich historische Momente fest: Erich Honecker, wie er trotz seiner Krebserkrankung bis zum Schluss kerzengerade auf seinem Stuhl sitzt; den ehemaligen Stasi-Chef Mielke als verwirrten alten Herrn, der hinter der Panzerverglasung vor sich hin dämmert.

Marina Prüfer hat auch andere Kunstobjekte im Foyer des Polizeipräsidiums verteilt. Collagen und sperrige Objekte sind das. Pappkartons, die sie mit Zitaten aus ihrer eigenen Stasi-Akte beklebt hat, tragen etwa den Titel „Geschenke für Amerika“. Sie liegen jetzt etwas verloren unter dem Weihnachtsbaum.

„Zeitbrücken – Geschichtsprozesse – Prozesse in der Geschichte“, bis 1. Februar 2003 im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke 6, Tempelhof.