Näher an die Klapse

Spieltäglich grüßt das Murmeltier: Bayer Leverkusen stellt sich mal wieder reichlich dumm an und muss nach dem 1:2 in der Champions League gegen Barcelona mit nachhaltiger Tristesse rechnen

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

„Ganz bitter“, klar, ist so eine Niederlage. Erst hatten sie defensiv sehr clever gewerkelt, nach vorne gut, momentweise sogar brillant gespielt gegen den großen FC Barcelona und auch geführt durch Dimitar Berbatows Kopfball nach 39 Minuten. Dann ließen sie sich zweimal wie für ein Lehrvideo auskontern. „Das tut weh.“ Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller gab traurigaugig eine Mischung aus Durchhalte-Realismus und Resignation: „Aber das müssen wir hinnehmen.“ Die Mannschaft habe sich „selbst bestraft“ und „um den Lohn der Früchte gebracht“.

Ein derart schön-schiefes Bild von der Lohnfrucht ist Toppmöller bislang noch nicht eingefallen. Aber in der Sache muss er seit Monaten das Gleiche sagen: Individuelle Fehler, Kleinigkeiten mit großer Wirkung, alles ansprechen, vorbereiten, aber dann geht es wieder von vorne los: Und spieltäglich grüßt das Murmeltier. Die US-Komödie von 1993, die am Groundhog Day (Murmeltiertag) im Provinznest Punxsutawney spielt, bekommt wenigstens ein Happy End. Auf Bayers Footballground scheint sich die Zeitschleife derzeit immer neu einzufädeln. Besserung ist nicht in Sicht.

Die Fans knurren, die Mediendeuter plagen sich. Toppmöllers Elf liefert seit dem Sommer gelegentlich Glanzvorstellungen ab – und dilettiert gleich darauf als Rumpelcombo. Rund um die BayArena sucht man nach Vergleichen: Bayer ist wie eine Sphinx. Wie eine zickige Geliebte. Wie ein bockiges Kind. Offenbar gehört es zum janusköpfigen Wesen dieser Elf, ständig die Masken zu wechseln.

Schon am Dienstag hatte Toppmöller mitgeteilt, dass ihn seine Elf „in den Wahnsinn treibt“. Jetzt ist er der Klapse näher gekommen: „So dumme Fehler“, wieder und wieder in diesem Jahr, „in jedem Spiel ist es ein anderer Spieler“. Diesmal war es Diego Placente. Er verlor nach 48 Minuten den Ball stümperhaft an der Mittellinie, die gerade eingewechselten Riquelme und Saviola doppelpassten sich durch und es stand 1:1. Und dann, zwei Minuten vor Schluss, Bierofkas gescheitertes Dribbling ohne Absicherung: Der nächste Konter, schnell wie der Wind, und Marc Overmars vollendet zum geschenkten Sieg.

Der Auftritt des Argentiniers Placente war sinnbildlich für Bayer 2002 und den Fußball überhaupt: Defensiv so überragend hatte er in der ersten Halbzeit gespielt, dass der große Gaizka Mendieta kaum einen Ball berührte und ausgewechselt in der Kabine blieb. Dann „dieser Hammer“ (Toppmöller), „so was passiert ihm vielleicht einmal in zehn Jahren“. Am Mittwoch folgte ein ähnlicher Hammer nur zwölf Minuten später: Übermotiviert und ungeschickt foulte Placente den enttäuschenden Kluivert, aber Torwart Butt konnte Riquelmes Elfmeter grandios parieren.

Im Vorjahr, als sich Bayer durch reichlich tolle Fußballabende am Lohn der Früchte labte, ist weitgehend unbemerkt geblieben, wie punxsutawneyhaft dieses Leverkusen auch im Kunstglanz Europas geblieben ist. Das Publikum, mehrheitlich aus Bayers Konzernetagen, liebt das Stakkatoklatschen als höchste Form der Ekstase und gibt sich ansonsten dem wohlfeilen Maulen hin – am Mittwoch wurde Angreifer Thomas Brdaric nach seiner ersten misslungenen Szene nach 70 Sekunden ausgepfiffen und zur Auswechslung vorgeschlagen. Wie soll da ein Stürmer Selbstbewusstsein tanken und auch noch das Tor treffen? Während des Spiels schimpften die Zuschauer ungeduldig bei fast jedem klugen Aufbaurückpass, nachher moserten sie tribünenweit: Wat sichern die auch nich den einen Punkt so kurz vor Schluss?

Der monoglotte Stadionsprecher im freudlos-preußischsten Anwesen des Rheinlands dilettiert schon bei jeder englischen Durchsage, dass es ein schämenswerter Jammer ist. Und da hatte er diese komischen spanischen Spielernamen noch gar nicht vorgelesen und als Gegner Barca statt Barça verkündet. Nur die Musik ist in Leverkusen so laut, dass man sie auf allen anderen Plätzen der Champions League hören kann.

Jetzt droht baldige musikalische Stille. Rudi Völler: „Barcelona ist erst mit der Hilfe zum 1:1 stark geworden.“ Der ungelenke Kapitän Ramelow übertrieb frustriert: „Wir haben in der zweiten Halbzeit alles vermissen lassen.“ Thomas Brdaric, der Fanverpfiffene: „Da ist unser Spiel in die Brüche gegangen.“ Es sieht nicht so aus, als könne die Elf die Weichen in dieser Saison (in der Bundesliga auch nur unteres Mittelmaß) noch richtig stellen. Bayer geht es wie Bayers Aktienkurs, der zuckt auch rauf und runter. Die Aktien des Fußballclubs Bayer 04 wären derzeit ein ziemliches Zockerpapier. Am Mittwochabend sind sie mal wieder schwer abgesackt.