Schläge unter die Gürtellinie

betr.: „Auch Goppel zieht die Hitler-Karte“ (Auch Schwule werden von ihm diffamiert), taz vom 23. 11. 02

Man sollte sich erkundigen, wo es zur Zeit einen Lehrstuhl für neuere Geschichte zu besetzen gibt, es kann nur einen Kandidaten dafür geben: Thomas Goppel. Dermaßen fundiert, wie er seine Thesen vorbrachte, müsste sich jede Uni in Deutschland um eine historische Kapazität wie ihn doch schlagen.

Allerdings sollte er vorher ein paar Sachen doch noch aufklären: Sind 70 Jahre nachhaltige politische Entwicklung ganz außer Acht zu lassen? Wird man den Wählern 2002 gerecht, wenn man den Vergleich mit den frühen Dreißigerjahren zieht? Waren es nicht die konservativen „demokratischen“ Parteien, die Hitler auf den Schild hoben, einschließlich eines greisen Reichspräsidenten Hindenburg, der sich heute wohl nur in der CSU zurechtfinden könnte? Ist die Diffamierung von Minderheiten nach wie vor ein legitimes, politsches Mittel (Stimmt, hat ja im Kaiserreich und 1933–45 auch gut funktioniert)? Doch wie man Goppel kennt, wird er von genug ähnlich historisch bewanderten Leuten bestätigt werden, um nicht mal diese Zeilen lesen zu müssen, geschweige denn, sie zu verstehen oder sich Gedanken darüber machen zu müssen. BERNHARD SEYFANG, Karlsruhe

Wer bi- oder homosexuelles Verhalten als unnatürlich diffamiert, hat Gott „G“ nicht verstanden: Nach amerikanischen Untersuchungen gibt es zwischen 3.000 und 4.000 menschliche Geschlechter. Die Natur ist bunter und vielfältiger als es sich christlich-konservative Politiker vorstellen können. Amerikanische Staatsbürger können in ihrem Pass sogar zwischen vier Geschlechtern wählen: male, female, transsexuell und others.

Schöner Pragmatismus! Multisexuell ist pure Natürlichkeit, Hetero- oder Homosexualität die Ausnahme. Zirka 20 Prozent der Bevölkerung sind „nur“ hetero- oder homosexuell, die große Mehrheit ist poly- oder multisexuell oder einfach: menschlich einzigartig und individuell. MICHAEL BÖRNER, Hamburg

Goppel hat sich endlich von dem lästigen Anschein eines sachlichen politischen Meinungsstreits gelöst. Wenn es keine Sachargumente gibt, täuscht er diese auch nicht mehr vor, sondern geht seine Gegner wie in einem ritterlichen Zweikampf frontal und persönlich an. Nostalgische Erinnerungen an Konrad Adenauer im Bundestagswahlkampf 1961 kommen auf – wie war das mit einem gewissen Herbert Frahm, dessen Herkunft viel wichtiger als der Mauerbau in Berlin war?

[…] Goppels Ausführungen zur Familie, in der Vater und Mutter ein ganzes Leben lang zusammen bleiben, fallen hier aus dem Rahmen. Er verrät uns nicht, von welchem Land und welcher Zeit er spricht und wer diese Mustergesellschaft regiert hat. Die Bundesrepublik und die Unionsparteien kann er nicht gemeint haben, hat sich die schleichende Aushöhlung der traditionellen Ehe und Familie über 53 Jahre entwickelt, von denen die Union nur in 17 Jahren nicht die Regierung geführt hat. Die lästige Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realitäten verträgt sich eben schlecht mit einer (un)politischen Form der Auseinandersetzung, die auf jeden Anschein argumentativer Sachlichkeit verzichtet.

In Bayern gibt es wohl wirklich „eine andere Vorstellung von der Welt“, vor allem von den abendländisch-humanistischen Werten unserer freiheitlichen Grundordnung. Diskriminierung liegt bei dieser Form der politischen Auseinandersetzung dann wahrlich nicht vor, sondern nur ein vordemokratischer, ja vorzivilisatorischer Schlagabtausch. Wir können indes davon ausgehen, dass Thomas Goppel die beim klassischen Duell erforderliche Satisfaktionsfähigkeit abgeht.

CHRISTOPH SCHUKE, Frankfurt/Main

Ganz abwegig ist der Vergleich zwischen unserer heutigen Situation und der des Jahres 1931 sicher nicht, denn es gibt in der Tat eine Reihe von unübersehbaren Parallelen. Pervers und bedrohlich wird es aber, wenn man der Regierung Brüning die Schuld am Aufkommen des Nationalsozialismus zuschiebt, während es doch in Wahrheit die in der Harzburger Front zusammengeschlossenen Nationalsozialisten und Deutschnationalen und die von ihnen getragene Hugenberg-Presse waren, die in einer maß- und hemmungslosen Hetze das Volk nicht nur gegen die Maßnahmen der Regierung, sondern auch gegen die parlamentarisch-demokratische Staatsform als solche aufwiegelten. Ohne Frage ist unser Land heute in einer äußerst schwierigen Situation – nicht zuletzt infolge der Schuldenpolitik früherer CDU-geführter Regierungen. Wer aus dieser Situation seinen Honig saugen und gar „die Hitler-Karte ziehen“ will, spielt mit dem Feuer und leistet einer ähnlichen Entwicklung wie 1932/33 Vorschub.

ULRICH UFFRECHT, Buxtehude