HINTER DEN KULISSEN BAUT DIE REGIERUNG DAS FLÜCHTLINGSRECHT AB
: Schily ohne Grenzen

Eines hat die Union mit ihrer Klage gegen das Zuwanderungsgesetz schon erreicht: Die wenigen engagierten Migrationspolitiker bei SPD und Grünen warten wie die Kaninchen vor der Schlange auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Hinter vorgehaltener Hand geben viele zu, dass sie mit einem Erfolg der Klage rechnen. Über die Folgen will keiner sprechen – denn obwohl das Gericht nur über das formale Zustandekommen des Gesetzes urteilen muss, würde ein Nein aus Karlsruhe auch das vorläufige Ende der rot-grünen Reformen in der Einwanderungspolitik bedeuten. Die Chancen für einen neuen Anlauf sind äußerst gering. Mit seinem Widerstand gegen ein humanes EU-Flüchtlingsrecht bereitet Innenminister Otto Schily bereits jetzt eher eine Rolle rückwärts vor.

Das Klima für eine offenere Einwanderungspolitik hat sich seit der Bundesratsabstimmung im März weiter verschlechtert. Angesichts düsterer Wirtschaftsprognosen und steigender Arbeitslosenzahlen dürfte die Bereitschaft der SPD, noch für ein moderneres Einwanderungsrecht zu kämpfen, gegen null tendieren. Vor diesem Hintergrund ist die migrationspolitische Debatte erlahmt. Die profilierten Grünen sind entweder aus dem Bundestag verschwunden (wie Cem Özdemir), wenden sich anderen Aufgaben zu (wie der bisherige rechtspolitische Sprecher Volker Beck) oder beschränken sich aufs Hoffen und Bangen (wie die neue „Integrationsbeauftragte“ Marieluise Beck). Die neue innenpolitische Sprecherin Silke Stokar muss sich offenbar erst einarbeiten.

Der Innenminister nutzt den Stillstand der Debatte und den fehlenden Widerstand des Koalitionspartners, um mühsam ausgehandelte Erfolge der Grünen rückgängig zu machen. In Brüssel setzt er sich dafür ein, den besseren Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung auf EU-Ebene zu verhindern. Auch von der deutschen Innenministerkonferenz nächste Woche sind eher restriktive Entscheidungen zu erwarten, was das Bleiberecht für Flüchtlinge betrifft. Und die Grünen? Auf ein spürbares Gegengewicht zu Schily, etwa das Justizministerium, haben sie in den Koalitionsverhandlungen verzichtet. Das rächt sich schon jetzt – mit oder ohne Zuwanderungsgesetz. LUKAS WALLRAFF