Das Comeback des Al Gore

Zwei Jahre nachdem die Gerichte seinem Konkurrenten George W. Bush den Wahlsieg zusprachen, macht der ehemalige Vizepräsident wieder von sich reden – rechtzeitig zum Start des Kandidatenrennens der Demokraten für die Wahl 2004

aus Washington MICHAEL STRECK

Das Kandidatenkarussell der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2004 hat noch gar nicht richtig angefangen sich zu drehen, da ist einer schon aufgesprungen. Da er aber noch kein richtiger Kandidat sein will, macht er vorerst den Animateur. Nach zwei Jahren innerem Exil ist Al Gore wieder da. Er gibt Interviews, hechtet von einer Talkshow zur anderen, besucht 12 Städte in 25 Tagen und witzelt in David Lettermans „Late Show“.

Es ist eine gewaltige Medienoffensive. Gore plaudert über seine Niederlage, Lektionen aus den verlorenen Zwischenwahlen, was er als Präsident anders machen würde und wie das Leben so ist als „Mr. Resident“, wie ihn die Washington Post beschrieb. Doch die wichtigste Frage beantwortet er nicht. Will er noch mal gegen George W. Bush antreten? „Gore will testen, wie kalt das Wasser ist“, sagt die demokratische Wahlkampfmanagerin Susan Estrich.

Dafür hat er sich eine harmlose Buchtour ausgedacht, hinter der jedoch eine sorgfältige Choreografie steckt. Vordergründig stellt Gore seinen Wälzer über die amerikanische Familie vor, den er gemeinsam mit seiner Frau verfasst hat. Dabei füttert er das Publikum mit politischen Reflexionen und schaut, welche Stimmung ihm entgegenschlägt. Denn der Mann mit der seltsamen Berühmtheit, der mehr Stimmen gewann als jeder andere demokratische und republikanische Präsidentschaftskandidat außer Ronald Reagan und dennoch verlor, möchte nichts lieber als „Mr. President“ sein.

Der Zeitpunkt für seine Wiederauferstehung ist geschickt gewählt. Demokratische Senatoren und Gouverneure positionieren sich für das Kandidatenrennen. Die Partei leckt nach den verlorenen Kongresswahlen ihre Wunden, sucht im Post-Clinton-Vakuum nach Identität und Führung.

Die lange als aussichtsreiche Kandidaten gehandelten Fraktionschefs der beiden Kongresskammern, Tom Daschle und Richard A. Gephardt, taugen als Wahlverlierer vorerst nicht für höhere Weihen. Den verhinderten Vizepräsidenten Joseph Liebermann, Senator aus Connecticut, verwechselt man gelegentlich mit einem Republikaner, so eifrig wirbt er für einen Irakkrieg. Senator John Edwards aus North Carolina macht gegen den gefürchteten Linksruck in der Partei Front, traut sich aber zu fordern, Bushs massive Steuersenkung rückgängig zu machen. Bleibt noch Senator John F. Kerry aus Massachusetts, der seine Partei immerhin mahnt, eine klare Alternative zur nationalen Sicherheitsstrategie der Regierung zu finden.

Da keiner der Kandidaten in Wartestellung jedoch „die Straße mitreißen“ kann, wie es die New York Times kürzlich formulierte, landet man pradoxerweise wieder bei Gore und beim Dilemma der Demokraten. Nicht dass er über Nacht plötzlich charismatisch geworden ist. Aber er hat seinen funktionierenden Apparat, Geld und – was für viele momentan das Wichtigste ist – von Bush klar unterscheidbare Positionen. Wer auch immer gegen ihn antreten sollte, kann ihn nicht mehr links überholen.

Der neue Gore hat den Pfad der Mitte aus der Clinton-Ära verlassen und versucht wieder der ganz alte Gore zu werden, der durch seine Ökobibel „Earth in Balance“ die Umweltbewegung hinter sich scharte. In der Irakfrage distanzierte er sich bisher am deutlichsten von Bush, und vor wenigen Tagen landete er einen echten Coup, als er eine staatlich geförderte Krankenversicherung forderte, um das Problem von vierzig Millionen Amerikanern ohne Versicherungsschutz zu lösen. Kein anderer prominenter Demokrat hat sich bislang so weit vorgewagt.

Gore glaubt, in einer tief gespaltenen Wählerschaft nur so die eigene Basis mobilisieren zu können. Er riskiert jedoch, die Mitte zu verprellen, aus der die restlichen Stimmen zum Wahlsieg benötigt werden. Clinton ist schließlich gewählt worden, weil er das konservative und liberale Lager der Demokraten miteinander versöhnen konnte und Gore lediglich als linkes Alibi benutzte.

Bis Ende des Jahres will Gore ankündigen, ob er noch mal in den Ring steigt. Seine demokratischen Kontrahenten äußern sich öffentlich bislang erstaunlich zurückhaltend zu seinem Comeback. Sie ahnen vielleicht, dass ihre blutleere Partei gegen Bush ohnehin kaum eine Chance hat. Soll Gore ruhig noch einmal antreten, mögen sie denken. Wahrscheinlich gibt er erst Ruhe, wenn er richtig gegen Bush verloren hat und nicht mehr glaubt, um die Präsidentschaft betrogen worden zu sein.