Heilsbringer für Sofasportler

Festliche Tage wecken körperformende Begehrlichkeiten, die sich auch auf dem Wunschzettel niederschlagen. Statt elektronischer Fitnesswunderwaffen tut‘s eigentlich auch ein gutes Buch

von OKE GÖTTLICH

Sie gehören zu den Fernsehzuschauern, die es sich gelegentlich nachts vor den Dauerwerbesendungen der einschlägigen Kanäle gemütlich machen? Vorsicht, Ihr Weihnachtspräsent wird Sie entlarven! Ein rechtzeitiges Bekenntnis zur heimlich gelebten Faszination Teleshopping wäre somit ratsam, bevor spätestens Heiligabend die Glotzgewohnheiten am christlich geschmückten Tisch thematisiert werden.

Nur ganz abgeklärte, den Reizen der üppigen und so leidenschaftlich unprofessionellen Warendarbietungen trotzende Personen werden ihre entspannungsfördernde Fernsehgewohnheit weiter im Stillen fortführen können. Aber mal ehrlich, wer kann denn schon den formschön vollendeten Waschbrettbäuchen, die sich auch noch sofagerecht durch Strom antrainieren lassen, widerstehen? Ein ideales Geschenk, neigt man zu glauben, um dem seit Monaten wegen Konditionsmangels klagenden Partner – gerade nach der fetten Weihnachtsgans – etwas Gutes zu tun. Kann man sich dem Marktgeschrei eines „farbenfrohen Kauftraums“ wie dem GyroTwister (Foto links oben), überhaupt entziehen? „Das Gerät das süchtig macht. Bei bis zu 10.000 Umdrehungen die Minute und 15 kg Kreiselkraft trainiert der Twister Unterarme, Oberarme, Handgelenke und die Greifkraft. Jeder kann vom äußerst positiven Trainingseffekt (...) profitieren.“ Und Sie, ausgerechnet Sie, wollen nun glauben machen, dieser faktenimmunen Personengruppe zugehörig zu sein? Dabei ist doch lediglich der zuständige Paketzustelldienst mit den tausendfachen Bestellungen dieser einschlägigen Waren sowas von überfordert, dass Ihre Stromschleuder zur elektronischen Figurgestaltung noch nicht angekommen ist. Gott sei Dank. Aber was tun mit der bereits in der Abstellkammer versteckten original ABGymnic-Hose für 139 Euro (Foto ganz unten)? Immerhin der Hose, „die mit schwachen elektronischen Impulsen die motorischen Nervenenden stimuliert, wodurch sich die Muskeln abwechselnd zusammenziehen und entspannen“. Hui, da wird der Orangenhaut ganz schön auf die Pelle gerückt. Sagt zumindest das Fernsehen mit eindrucksvoller Vorher-Nachher-Technik. Die juvenilen Verkaufsdialoge zwischen Händler und produktüberzeugten Schattenprominenten in Dauerwiederholung scheinen besonders auf alkoholgetränkte Gehirnwindungen (statt Hammerpreis wird gern ein lang gezogenes Haaammerpreis verwendet) ausgerichtet zu sein. Denn schon der nächste Elektroschocker fasziniert auf eindrucksvolle Weise: AbGymnic 3 (Foto rechts oben) ist der wahre Tausendsassa unter den Muskelstimulationsgürteln. „Durch die Zusatzpads können Sie nicht nur mehrere Muskelgruppen gleichzeitig stimulieren, sondern sogar solche, die sie mit dem herkömmlichen Gürtel nicht gut erreichen konnten.“ Massage, Body-Building, Kondition. Alles machbar, und zehn Minuten Anwendung, vielleicht während des Weihnachtsschmauses, entsprechen 600 Sit-Ups. Wenn da die Gans mal drinnen bleibt.

Ein Flop wären figurformende und aus der TV-Werbung bekannte Geschenke allerdings keineswegs. „Wenigstens fällt der Weihnachtsbaum nicht so leicht um, wenn diese Geräte darunter liegen“, wertschätzt der Trainingswissenschaftler Klaus Rudolph vom Olympiastützpunkt Hamburg die Heilsbringer für Sofasportler. Für ihn passt der gesamte „Humbug“ sehr gut in die Zeit der kommerziellen Coming-Outs von Nahrungsergänzungsmitteln und Fast-Fitmachern. Rudolph selbst fragt sich so manches Mal, wenn er einen Sportler bei schönem Wetter auf dem modernsten Fahrradergometer strampeln sieht, warum dieser nicht in der Natur radelt. „Ich vertrete gerne weitestgehend konservative Trainingsmethoden. Da ich aber hochleistungsspezifische Arbeit betreibe, kann ich einzeln zu diesen Geräten nichts sagen, außer dass ich immer wegzappe wenn sie im Fernsehen beworben werden.“

Wenn nun ausreichend figurformende Maßnahmen für den Gabentisch ergriffen worden sind, heißt es, sich gemütlich zurückzulehnen. Dieser ganze Aktivitätswahn schlägt ordentlich auf die Kondition. Totale Entspannung also. Nichts ist es mit dem Muskelaufbau mit Hilfe passiver Anwendung stromschlagender Aktivitätstäuscher. Es lebe die totale Passivität zu Weihnachten. Das Sofa ist der richtige Ort, um sich dem schlechten Gewissen vermindernden Schmökern einiger Sportbücher zu widmen. Die Entscheidung zwischen den „noblen Klassikern“ unter Hamburgs Fußballvereinen und dem bisher umfangreichsten Buch über den HSV: „Immer erste Klasse“, Verlag Die Werkstatt, und der neuaufgelegten Geschichte des FC St. Pauli „Wunder gibt es immer wieder“ aus demselben Verlag bleibt eine Glaubensfrage. An dem ebenfalls neu aufgelegten „Lexikon der Fußballmythen“, aus dem Eichborn Verlag, kommt niemand vorbei, der sich für die Frage interessiert, welche Mannschaft Dribblings trainierte, indem die Spieler Hühnern nachjagten.

Wer meint, sein Fest doch lieber ein wenig aktiver gestalten zu wollen, darf am Rechner mit Anstoss 4 versuchen, sein eigenes Fußballteam vom Weg aus der Regionalliga in die Champions League zu managen. Gerade noch rechtzeitig zum Fest wurde gestern die Auslieferung der beliebten Manager-Simulation gesichert. Dort kann virtuell ein Trainingsprogramm für das eigene Team erstellt werden, was einen ähnlichen Effekt auf die eigene Fitness haben dürfte, wie die Elektroplacebos für den Waschbrettbauch.