piwik no script img

Mirakulöses Zwergenland

Mit dem Computerspiel „Diggles“ können Kinder und Erwachsene trübe Wochen spielend überstehen. Dass sich Mädchen und Jungen dafür gleichermaßen begeistern, spricht für die Spielidee, die jetzt auch in den USA vermarktet wird

„Das erste nicht sexistische Computerspiel“, lobt Rosas Tante.

Endlich weiß Alan (53), woher die Kinder kommen: Er hat zwei Diggles-Zwergen bei der Liebe zugeschaut – während Rosa (11) neben ihm nur zwei zipfelbemützte Trolle über den Bildschirm rollen sah. Erst hin, dann her. Ein lustiges Raufen, dann erschien das Baby Josephine auf der Namensleiste rechts im Bildschirm, wo jeder Diggle im Zwergen-Clan verzeichnet steht – mit dem dazugehörigen Stimmungsbarometer natürlich, das Alan und Rosa immer schön im Positiven halten sollen, ebenso wie die Hunger- und die Schlafkurve ihrer knuffigen Zwerge, Trolle oder – Diggles eben.

Die Spielidee ist übersichtlich: Der Diggles-Clan, allen voran ihr König, hat Gott Odin versprochen, dessen entlaufenen Hund Fenris wiederzufinden, der sich irgendwo im Computerspiel versteckt hält. Auch das ein Grund, warum die Diggles offiziell als Strategiespiel firmieren, während (Sims-Family-Fan) Rosa und Alan von „Spaß“ und „Abenteuerspiel“ sprechen – weil sie so viel Unverhofftes und Lustiges erleben, wenn sie auf der Suche nach Fenris das Erdreich durchtunneln und dabei Wassereinbrüche und Angriffe Unterirdischer überstehen müssen. Nein, nicht sie, sondern die Rosa und Alan anbefohlenen Diggles, die sie wie Gott Odin durch ein Leben lenken, das nicht länger als 25 Spielejahre währt und mit Essen, Trinken, Waschen, Schlafen, Arbeiten und Flirten dem menschlichen ziemlich nahe kommt.

Die frisch geborene Josephine, mit rotem Zipfelmützchen, lustiger Knollennase und dicker Windel, weiß von alldem nichts. Sie tut, was Diggles so tun, wenn Alan und Rosa sie nicht beachten: Sie trollt sich durch das Labyrinth unterirdischer Gänge, vorbei an „Mittelalterschlafzimmern, Schmelzereien, Holzwerkstätten und Bars“. Alles angelegt von Diggles – im Auftrag von Rosa und Alan, die dafür derart am Computer kleben, dass nicht nur die Eltern der über 12-Jährigen auf den Plan treten dürfen, für die die Spielerfindung aus Deutschland bestimmt ist, die seit dem Frühsommer aber auch auf dem US-amerikanischen Markt viele Ansprüche erfüllt.

„Das erste nicht sexistische Computerspiel“, lobt Rosas Tante Eva (42) – begeistert von Janet, der alten Diggles-Frau, die Höchstwerte im Gänge-Graben erreichte. Eine Fähigkeit, die sie auch ihrer Tochter vererbte. Als schließlich oben auf der Bildschirmleiste die Nachricht erschien: „Janet ist alt. Janet stirbt gleich“, ließ die Tante Janet eimerweise Heiltränke in der Mittelalterküche trinken. Vergeblich. Janets Lebenspunkte auf der Gesundheitsleiste schwanden zusehends.

Würden die Spieldesigner jeden Verlust durch Tod nicht mit einem kleinen Feuerwerk gestalten, das hochgeht, wo die Diggles zu Boden sinken – es hätte mit Sicherheit echten Kummer gegeben. So gab es nur ein Diggles-Begräbnis, der Steimetz kam und schaufelte Janet, der Meisterin der Gräbenbuddler, nun ein echtes Grab: Oberhalb des Gänge- und Höhlengewirrs im Zwergenland, dort, wo bunte Diggles-Zelte unter Nadelbäumen auf grünem Gras leuchten.

Ja, auch sowas gibt es – als Anspielung auf erste menschliche Lebensformen, die Alan und Rosa aber schon überwunden haben. Die beiden stecken gerade in der Steinzeit fest, wo sie Eisen bräuchten, um ihre Gesellschaft „weiter zu entwickeln“ – zu „industriellen Wohn- und Luxusbadezimmern“. Sogar ein Bordell steht auf der Liste. Ob es dazu kommt, ist noch unklar. Denn die Fragezeichen, die auf den unerforschten Flächen des Bildschirms auftauchen, weisen bisher nur auf Rätsel hin, deren Lösung von der Spürnase der Spieler abhängt.

„Bei dem Spiel geht es um Lernen und Entdecken“, sagt Alan, der lange rätselte, wie die verflixten Bücher zu öffnen wären, die bei melodischen Klängen an den Diggles vorbei durch die Gänge schwirrten. Und den auch die unglücklichen Mienen von männlichen Diggles lange ratlos ließen. „Die Jungs hatten zu essen, zu trinken und zu arbeiten – und trotzdem immer schlechte Laune“, blickt er zurück. Erst als er Frauen in dieselbe Tagschicht schickte, hellten sich dort die Männer-Mienen auf. „Wenn die Frauen nicht – so unabhängig – immer gute Laune gehabt hätten, wäre ich vielleicht schneller drauf gekommen“, sagt er. Eva nickt begeistert.

„Der geheime Lehrplan ist zwar konventionell, aber er knüpft an Kinderideen von Zwergenwelten an, die wirklich lustig sind“ – und kniffelig. Auch nach x-Spieletagen haben Alan und Rosa weder Eisenerz noch den Hund Fenris aufgespürt. Odin muss weiter warten. Wahrscheinlich werden sie bald die Suche einstellen. Aber auch bei Mensch-Ärgere-dich-nicht gibt es Verlierer. ede

Das PC-Spiel „Diggles“ vom „Spielentwicklungskombinat Ost“ aus Berlin-Friedrichshain kam zuerst als „Wiggles“ auf den Markt. Es kostet rund 14 Euro.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen