piwik no script img

Sind Touristen Rassisten?

Das Buch „Im Handgepäck Rassismus“ ringt um Respekt vor dem Fremden und vermengt dabei die Kritik an interkulturellen Prozessen und ökonomischen Abhängigkeiten im Big Business des Tourismus mit einem allgemeinen Rassismusvorwurf

von CHRISTEL BURGHOFF

Die Nachricht macht betroffen: Irgendwo sind wir alle Rassisten – zumindest als Touristen. Wir bewundern die Folklore und das Kunsthandwerk Einheimischer in der Dritten Welt – und diskreditieren sie so als Rückständige. Wir beleidigen Arme und Kinder, indem wir Hemmungen, sich fotografieren zu lassen, gegen ein paar Münzen aufwiegen. Wir verklären archaisches Landleben im hintersten Winkel der Welt zu einem zentralen Kulturelement des besuchten Landes und wischen damit vom Tisch, dass wir als Repräsentanten von Winner-Kulturen zu den Verursachern des Elends in Ländern der Dritten Welt gehören. Und wir verwenden auf all das selten mehr als einen müden Gedanken.

In dem Sammelband „Im Handgepäck Rassismus“, der neuesten Publikation des Freiburger iz3w (informationszentrum 3. welt) gehen die AutorInnen von einer „strukturellen Verwandtschaft zwischen Tourismus und Rassismus“ aus. Ihre These beruht auf plausiblen Überlegungen: Tourismus braucht die „Differenz“, damit die besuchten Fremden für Touristen interessant und attraktiv sind. Und das sind sie, wenn sie als ethnisch eigentümlich und als etwas kulturell Besonderes wahrgenommen werden können. Tourismus hängt von Grenzziehungen ab, obwohl er vorgibt, Grenzen weltweit zu überschreiten. „In, mit und durch Tourismus entfaltet sich das rassistische Wissen“, stellt ein Beitrag des Buchs fest. Im Reisen werden Differenzen hergestellt, die auf einer alten symbolischen Ordnung der Welt beruhen. Dieser alten Ordnung nun, die uns Imperialisten und Kolonialisten von vorgestern vererbt haben, sind die AutorInnen im modernen Tourismus auf der Spur.

Ein hässliches und unappetitliches Erbe. Rassismus, so belehrt ein Blick ins Lexikon, führe kulturelle Fähigkeiten und Entwicklungslinien der menschlichen Geschichte nicht auf politische und soziale, sondern auf biologische Ursachen zurück und begründe auf diese Weise eine Über- bzw. Unterlegenheit einer menschlichen Rasse gegenüber einer anderen zwecks Rechtfertigung von Herrschaft über Menschen, Volksgruppen und Völker. Ideologie in Reinform also, die herauszufiltern heutzutage nicht mehr ganz leicht ist – es sei denn, man geht wie die AutorInnen von einem Bedeutungswandel aus und behauptet: Was früher dem Rassismus die Gene waren, ist ihm heute die Kultur. Der böse Wolf „Rassismus“ hat, so scheint es, Kreide gefressen und läuft neuerdings unter einem „kulturalistischen Deckmantel“ herum.

Das Gelände touristischer Kultur und interkultureller Kommunikation, das die AutorInnen auf diesem Weg betreten, ist jedoch unübersichtlich. Hier tummeln sich viele Altlasten: Klischees aller Art, der alltägliche Sexismus, die heiligen Kühe nationalen Stolzes und nationale Animositäten, religiöse Überzeugungen, Idealisierungen, Xenophobie. Und nicht zuletzt sind interkulturelle Ahnungslosigkeiten, Unsicherheiten, Trampeligkeiten mit im Spiel. Wer will hier beurteilen, wo der Rassismus steckt? Anders gefragt: Wer steht hier nicht unter Rassismusverdacht?

Wenn diskriminiert wird, kann das viele Gründe haben, touristische Kommunikation kann, muss aber längst nicht unbedingt rassistisch sein. Sind japanische Touristengruppen rassistisch, wenn sie am Frankfurter Römer ihre Kameras auf biedere Bürger richten? Sind es reiche Inder, wenn sie sich an den Originalschauplätzen ihrer geliebten Bollywood-Filme in der Schweizer Bergwelt wie Nabobs verwöhnen lassen? Der Vorwurf von Rassismus ist schweres Geschütz. Und es fragt sich, ob es wirklich so glücklich ist, dem Begriff seine Trennschärfe, seine Eindeutigkeit zu nehmen – angesichts fremdenfeindlicher Gewalttaten mit rassistischem Hintergrund, die hierzulande wieder zum Alltag gehören. Rassismus im Sinne des Verweises auf die Bilogie ist längst nicht ausgestorben.

Das Buch des iz3w erforscht vor allem den touristischen Konsum von Traditionen, Riten, Tänzen und Gebräuchen in Kenia, Tibet, Indien und anderswo. Und auch den Sextourismus in Länder der Dritten Welt. Eine ziemlich eindeutiges Thema, denn über Männerfantasien und Weiblichkeitskonstrukte lassen sich sehr schön rassistisch-kolonialistische Spuren aufzeigen.

Beispiel „Asiatin“. Ihr Bild ist sexistisch und rassistisch geformt, denn sie wird gern als dienstbar, anmutig, anschmiegsam und sexuell gefügig hingestellt, und irgendwie sollen diese Eigenschaften in Verbindung mit ihrer besonderen „Rasse“ stehen. Es ist ein Bild mit Tradition im kolonialen Herrenblick von James Cook bis Paul Gauguin, der sich lüstern auf die Fremde richtete.

Ganz sicher haben die AutorInnen mit ihrer Einschätzung einer „kolonialgeschichtlichen Fortsetzung der Eroberung auf körperlicher Ebene“ Recht. Aber es fällt schwer, sich mit diesem Urteil zufrieden zu geben. Zumindest Thailands Sextourismus ist auch eine touristische Erfolgsgeschichte. Das Image der hingebungsvollen Thai wurde als touristisches Highlight lanciert, um die Arbeitslosigkeit im Prostitutionsgewerbe nach dem Ende des Vietnamkrieges und dem Abzug der US-Amerikaner zu kompensieren. Ökonomische Gründe.

Als Industrie wird Tourismus heute weltweit umworben. Und weltweit gibt es Widerstand: gegen die Verwertung und den Ausverkauf von Natur und Kultur – und manchmal auch von Frauen. Das ökonomische Denken glänzt leider immer wieder durch völlige Gleichgültigkeit gegenüber den konkreten Ressourcen. Und dagegen machen immer wieder engagierte Gruppen mobil. Das iz3w gehört traditionell zu den Unterstützern der Benachteiligten in der Dritten Welt.

Leider befasst sich kein Buchbeitrag mit konkreter Fremdenfeindlichkeit – sei es hierzulande oder im Ausland, wenn Touristen angegriffen werden. Auch Antisemitismus, eine uns Europäern besonders vertraute rassistische Haltung, kommt nicht vor. Die Koppelung von Tourismuskritik mit dem Rassismuskonzept mündet in eine eurozentrische Nabelschau, in der uns mit Blick auf die Vergangenheit heftig der Kopf gewaschen wird. Vermutlich in der wirklich wohlmeinenden Absicht, uns mehr Respekt gegenüber Fremden abzuringen.

Martina Backes u. a. (Hg.): „Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur“. informationszentrum 3. welt (www.iz3w.org) 2002, 15 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen