Satans Kirchen brennen

Vom norwegischen Untergrund in die Annalen der Pathologie: Michael Moynihan und Dirk Søderlind erzählen in „Lords Of Chaos“ die blutige und ideologisch kontroverse Geschichte des Black Metal

von LARS BRINKMANN

Dieses Buch gehört in den Giftschrank. Es handelt von jugendlichen Mördern, Brandstiftern und Neonazis. Dennoch steht es nicht in dem ständig wachsenden Bücherregal zum Thema „Was ist nur aus unseren Kindern geworden?“. Auch nicht beim True Crime zwischen dem Charles-Manson-Bildband und den „00 schönsten Massenmorden“. Denn „Lords Of Chaos“ widmet sich einer Jugendbewegung, die ihrer musikalischen Weltverdunklung Mord und Totschlag folgen ließ: Black Metal.

Black Metal bildet schon mit seinen grotesk geschminkten Protagonisten ein prachtvolles Gegenstück zum netten Metal von nebenan. Dem eindimensional ausgelegten Satanismus folgend, wollen die Texte brutal, gemein und menschenverachtend sein. Genauso beschreibt sich die Klangästhetik, die Punk und atonaler Musik mehr verdankt als alten Haudegen wie Iron Maiden oder Judas Priest. Auf der Oberfläche eine Kakophonie aus Sirren und Surren, die von Keiflauten und rhythmischen Spasmen angetrieben werden, versteckt sich im Innern eine ungeahnte Melancholie. Wer Black Metal versteht, hört Schmerz. Das klingt nach teenage angst – und die musikalischen Subkulturen waren schon immer reich an Verweigerung und Dissidenz, Gewalt und Selbstzerstörung. Aber nur die konsequent gelebte Antihaltung des Black Metal findet ihren Platz in den Annalen der Pathologie.

Im unterkühlten Tonfall eröffnet „Lords Of Chaos“ mit der musikalischen Vorgeschichte des satanischen Metal. Nach knapp 40 Seiten verspricht die Kapitelüberschrift „Ein Lodern am Nordischen Himmel“, in Anlehnung an ein berühmtes Album der kontroversen Band Darkthrone. Denn auch wenn die englischen Venom den Begriff „Black Metal“ schon 1982 prägten, entsteht das Genre erst gegen Ende der Achtziger in Norwegen. Zentrale Figuren sind Mayhem, genauer Sänger Dead und Bandleader Oystein Aarseth alias „Euronymus“. Dead nimmt seinen Namen 1991 ernst, wählt den Freitod und schießt sich drei Jahre vor Kurt Cobain den Kopf weg. Bevor die Polizei gerufen wird, fotografiert Euronymus die Leiche und sichert ein paar Schädelstücke, die später zu Schmuckstücken verarbeitet werden. Gezielt gestreute Gerüchte besagen, Dead hätte sich wegen des erbärmlichen Zustands der damaligen Szene selbst entleibt – wahlweise wurde er von einem Bandmitglied umgebracht.

Sein Tod dient Euronymus als das ultimative Propaganda- und Marketing-Werkzeug, weniger Zynismus will keiner erwarten. Im selben Jahr eröffnet er den sagenumwobenen Laden Helvete („Hölle“), in dem sich alles zusammenfindet, was, soweit in Freiheit, bis heute den Ton im Black Metal angibt. Hier trifft Euronymus auch auf Varg Vikernes, der als „Count Grishnackh“ die Oneman-Band Burzum betreibt. Die beiden freunden sich an. In der Folge gehen Dutzende von Kirchen in Flammen auf, Satanisten werden zu Wikingern und Neonazis, als blutiges Finale krönt eine Art Brudermord die Tragödie.

Reich an Originaldokumenten, prall gefüllt mit exklusiven Interviews, in denen ausnahmslos alle wichtigen Figuren ausführlich und schonungslos ihre Version der Geschichte erzählen, erinnert „Lords Of Chaos“ in seiner Sorgfalt, Tiefe und Gewalt an Ed Sanders Buch über Charles Manson, „The Family“. Wie Sanders ist der federführende Autor Michael Moynihan Musiker und bedingungsloser Verfechter der Gedankenfreiheit. Doch wie das Gros seiner Studienobjekte kämpft das Mitglied der Church of Satan mit Gedankengut, das allzu oft aus dem braunen Sumpf seltsamer Altfaschisten, Neonazis und ihrer Freunde stammt.

Die gemeinsame Bewunderung für Charles Manson führte ihn z. B. mit James Mason zusammen, dem ehemaligen Mitglied der American Nazi Party und exzentrischen Kopf der National Socialist Liberation Front. Moynihan ediert und veröffentlicht ein Buch mit Masons gesammelten Schriften, um sich in der Folge noch übleren Gesellen anzudienen; u. a. übersetzt er den SS-nahen Julius Evola und Himmlers Hausokkultisten Karl Maria Willigut (alias Weisthor), zwei willfährige Ideologen, die sich mit einem Amalgam aus Okkultismus, Rassenlehre und Sozialdarwinismus den Faschisten in Italien und Deutschland als Nebelwerfer andienten. Die Liste von Moynihans Kontakten zu eindeutig rechtsradikalen Personen ist lang – unter www.oracle syndicate.org liefert der Artikel „How Black is Black Metal?“ von Kevin Googan einen Überblick. Moynihan behauptete mehrfach, er wäre weder Nazi noch Faschist oder Rassist. „Ich sehe nicht, dass weiße Menschen heutzutage irgendetwas Wertvolles machen oder etwas Edles, Unterstützungswürdiges“, erklärte er dem Onlinemagazin Mumblage.com: „In den meisten Fällen finde ich das Verhalten weißer Menschen absolut strafenswert.“ Was alles und nichts sagt.

Parallel zur deutschen Version von „Lords Of Chaos“ erscheint eine Doppel-CD, auf der neben den wichtigsten Bands auch der Sermon von Alistair Crowley, Anton LaVey und anderen Teufelskerlen zu hören ist. Und obwohl ich Moynihan die Tantiemen nicht gönne, bleibt mein Urteil: das spannendste Sachbuch seit dem Alten Testament. Irgendwo im Internet gibt es das auch als PDF-Datei.

Michael Moynihan, Dirk Søderlind: „Lords Of Chaos – Satanischer Metal: Der Blutige Aufstieg aus dem Untergrund“. Prophecy, Zeltingen-Rachtig 2002, 413 S., 20 € Die CD ist im selben Verlag erschienen