Neues Gefahrenschiff

In Estland haben die Behörden die „Byzantio“ starten lassen, die laut Lotsen und Umweltschützern ähnlich marode ist wie die „Prestige“

aus Tallinn REINHARD WOLFF

Kardaras Constantinos ist ein höflicher älterer Herr und lädt deshalb auch Journalisten auf sein Schiff am Kai von Muuga ein. Seit fünf Monaten ist er Befehlshaber der „Byzantio“, die urplötzlich ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit gerückt ist und sogar zwei französische Kamerateams nach Estland gelockt hat: Denn Lotsen halten das 26 Jahre alte Schiff, das unter maltesischer Flagge fährt, für ähnlich gefährlich wie die vor Galicien gesunkene „Prestige“.

Und obwohl die belgischen Seefahrtsbehörden sie im März und die irischen sie im August wegen Sicherheitsmängeln zeitweise festgehalten hatten und sie zudem im April im Mittelmeer mit einem anderen Schiff kollidiert war, ist die „Byzantio“ in den letzten Monaten sechsmal vollbeladen durch Kadetrinne und den Großen Belt geschippert.

Warum auch, meint Constantinos: „Mein Schiff ist sicher und in gutem Zustand.“ Mit der „Prestige“ habe es nichts gemein als dass es zufällig im selben Jahr gebaut sei. Auf seine philippinische Besatzung ist der Kapitän stolz und auch auf die Flagge. Man habe mit der maltesischen eine der „besseren“ Billigflaggen am Heck wehen.

Vergleicht man die „Byzantio“ mit vielen anderen, die den Ölhafen östlich der Hauptstadt Estlands regelmäßig anlaufen, fällt tatsächlich auf, dass am Schiffsrumpf keine Holzstöpsel sichtbar sind, mit denen bei anderen Tankern die Rostlöcher abgedichtet werden. Solche Schiffe dürfen deutsche oder finnische Häfen schon lange nicht mehr anlaufen, aber bislang sind sie in Estland, Lettland und Russland noch willkommen.

Die Großzügigkeit kommt nicht von ungefähr. Die Verschiffung russischen Öls ist ein gutes Geschäft. Der Ölexport ist für Estland und mehr noch für Lettland ein wichtiges Standbein der Volkswirtschaft. Er macht 15 Prozent des Bruttonationalprodukts aus. Für die estnische Bahn, die mehrheitlich im Eigentum einer US-Gesellschaft ist, ist der Öltransport aus Russland zum Verladehafen Muuga die wichtigste Einkommensquelle.

Mit der russischen Befrachtungsfirma Crown Ressources, die auch die „Prestige“ mit ihrer Fracht vom lettischen Hafen Ventspils gechartert hatte, will man es daher keinesfalls verderben. Verschärft ein Land im Alleingang die Sicherheitsvorschriften, würde das ohnehin vermutlich nur dazu führen, dass der Verkehr in einen großzügigeren Hafen umgeleitet wird.

An der „Byzantio“ hatte die Seesicherheitsbehörde Estlands auch nach vierstündiger gründlicher Kontrolle nichts auszusetzen gehabt. Allerdings hatte sie ihre Experten nur widerwillig losgeschickt. Verkehrsminister Kuldar Vaarsi weigerte sich zunächst mit Hinweis darauf, dass der Tanker erst vor anderthalb Wochen in Rotterdam überprüft worden sei. Doch dann drohte sich die Sache zu einem Politikum zu entwickeln. Die Behandlung der Rostlaube sei ein Test dafür, ob Estland wirklich in die EU aufgenommen werden wolle, hatte die französische Verkehrs-Staatssekretärin Dominique Bussereau am Mittwoch erklärt – ein Argument, das in Tallinn die Alarmglocken läuten ließ. Siebenmal sei das Schiff in diesem Jahr überprüft worden, zählt Kapitän Constantinos auf: „Das ist ein Qualitätsschiff.“ Vor einigen Wochen habe es einen schweren Sturm überstanden.

„Ich weiß, in welchem Zustand 26 Jahre alte Tanker sind“, sagt dagegen Mogens Jessen, Vorsitzender der dänischen Lotsenvereinigung: „Das Material ist schlicht und ergreifend am Ende.“ Er versteht nicht, dass der Verkehr mit Schiffen des „Prestige“- und „Byzantio“-Typs einfach so weitergeht, als sei nichts geschehen. Unter den Lotsen sei die Unruhe groß. Mit dem Kollegen, den Constantinos am Sonntag vor Gedser für die Fahrt durch den Großen Belt an Bord zu nehmen gedenkt, hätte er da ein Gesprächsthema – falls die „Byzantio“ ohne Zwischenfall so weit kommt. Auch Greenpeace hat nämlich Alarm geschlagen und willein wachsames Auge auf das Schiff haben. REINHARD WOLFF