Ei ab, Tragödin tot

„Jackie und andere Prinzessinnen“ am Deutschen Theater zeigt, dass Elfriede Jelinek zu Jackie Kennedy nichts einfiel, dass sie aber für Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann ihre Metonymienmaschine noch mal richtig in Gang brachte

Die Toten geben ja keine Ruhe. Das haben sie mit Elfriede Jelinek gemeinsam, beziehungsweise mit dem, was reaktionäre Leserbriefschreiber ihr polternd vorwerfen – und was obendrein der Selbstsicht der erfreulich sarkastischen Autorin entspricht. Die Liaison zwischen Jelinek und einer Reihe von ihr entworfener lebender Toter beschert nun gerade den deutschsprachigen Bühnen eine Reihe Uraufführungen, von denen endlich eine auch nach Berlin geschwappt ist. „In den Alpen“, das Stück über die in der Kapruner Bergbahn verbrannten Skifahrer, die Paul Celan treffen müssen, kriegten schließlich schon die Münchner und Zürcher in einer Inszenierung von Christoph Marthaler zu sehen; die ersten drei der „Prinzessinnendramen. „Der Tod und das Mädchen“ („Schneewittchen“, „Dornröschen“ und „Rosamunde“) zeigte zuerst Laurent Chétouane am Hamburger Schauspielhaus und kurz darauf ein Regisseurstrio beim Steirischen Herbst in Graz. Nun also wenigstens Nummer 4 und 5 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters: „Jackie und andere Prinzessinnen“ haben Regisseur Hans Neuenfels und Dramaturg Roland Koberg den Abend getauft.

Wer Elfriede Jelinek bislang als hauptberufliche Feministin missverstehen wollte, wird dies angesichts dieser Prinzessinnendramen zumindest überdenken müssen. Nicht nur, dass ihr zu Prinzessin Nr. 4, „Jackie“ Kennedy, nicht viel eingefallen ist. Um die ikonenfähige Weiblichkeit noch mal zu scheiden in Kunst- und Naturprodukte, muss sich der Monolog der taillenfreien Trendsetterin langweilig an der angeblichen Konkurrenz zu Marilyn Monroe aufhängen, dem blonden, drallen, der Autorin auch nicht viel sympathischeren „Lichtgestalt“. Dafür bringt Jelinek für Nr. 5 „Die Wand“ ihre intelligent kalauernde Metonymiemaschine noch mal richtig auf Hochtouren. Hier stehen die berühmten, früh und freiwillig aus dem Leben geschiedenen Schriftstellerinnen Inge (-borg Bachmann) und Sylvia (Plath) samt Eitelkeit und Selbsthass am Küchenherd und brodeln eine Blut- und Mythensuppe zusammen, die, wie die Autorin freimütig bekennt, nicht nur „eine Verarschung der Helden und der abendländischen Philosophie“ sein soll, sondern, „auch der feministischen Literaturkritik“.

Neuenfels und Bühnenbildner Karl Kneidl schicken Inge (Almut Zilcher in aschblonder Linda-Evans-Perücke) und Sylvia (Julia Wieninger) zurück in einen weißen Küchenboxring, auf den das Publikum von zwei einander gegenüber positionierten Tribünen blickt. In weißen Togen und auf hohem Ton guillotinieren die beiden Tragödinnen hart gekochte Eier und schnippeln ein anspielungsreiches Wiener Würstchen in die Blutsuppe: „Aber die Grundfrage bleibt doch wirklich immer wieder nur die Frage nach dem Ding. Haben wir es nun oder nicht?“ Zum Ausgleich stecken sie mal kurz das Köpfchen in den Backofen und rufen die Seherin Therese oder Papi, den Nazi, oder einfach nur den Tod, den Jackie später „den großen Weißmacher, den Universalreiniger“ nennen wird. Zilcher und Wieninger zelebrieren die Ikonen „weiblichen Schreibens“ als räudige Vestalinnen der Kunst, deren Augenzwinkern ironisch, manchmal aber bloß neurotisch sein könnte: Sicher nicht die allerschärfste, aber doch eine komische Interpretation der Nr. 5.

Mit den Verarschungen ist es schließlich gar nicht so einfach. Wo hört die Selbstironie auf, wo beginnt der Ernst? Bei „Jackie“? Die Küche weicht nach der Pause vier überlebensgroßen Kunstharz- und Fotoskulpturen, zwischen denen Elisabeth Trissenars Jacqueline barfuß, im weißen Seidenpyjama und mit bettsargmäßig verstrubbeltem Haar ausgerechnet dem Schema exaltierte Kindfrau hinterhertappt. Doch die Skrupellosigkeit, mit der sie sich den Text zugunsten der eigenen gefühligen Virtuosität unterwirft, ist schon wieder sehenswert. Zumal dadurch merkwürdigerweise Jelineks Sprache gründlich von der Wucht ihrer Zynismen, Boshaftigkeiten und allem sonstigem Charme befreit wird, bis nur noch blanker Boulevard übrig bleibt. Oha, diese Universalreiniger. EVA BEHRENDT