: Zerren an der kurzen Decke
Bei einer PDS-Diskussion über das Scheitern des Solidarpakts plädiert FU-Politologe Peter Grottian für gestaffelten Gehaltsverzicht im öffentlichen Dienst. PDS und Ver.di beharren auf ihren Positionen
von THOMAS GÖBEL
Peter Grottian, Politikprofessor an der Freien Universität, hat das Talent zu Vorschlägen, die quer liegen zu den Positionen aller seiner Mitdiskutanten. So kam am Freitagabend erstmals Stimmung auf im gut gefüllten Saal 311 des Abgeordetenhauses, als der grauhaarige Politaktivist zum Mikro griff.
Die Berliner PDS hatte unter dem schlichten Titel „Der Solidarpakt – Chancen und Risiken“ zur Podiumsdiskussion geladen. Nach den gescheiterten Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Senat sollte öffentlich besprochen werden, warum es im hoch verschuldeten Berlin nicht möglich ist, zu gemeinsamen Vorschlägen zu kommen, die sowohl der Haushaltslage Rechnung tragen als auch Interessen der Beschäftigten im öffentlich Dienst berücksichtigen.
Wer denn nun schuld sei am Scheitern der Gespräche, wollte Moderator und taz-Redakteur Robin Alexander folglich von Grottian wissen. Der holte tief Luft und donnerte mit gewohnter Vehemenz los: Beide Verhandlungsparteien seien „einäugig“, ihre Bewegungslosigkeit sei ein schwerer Fehler. Die Gewerkschaften sähen nur auf ihre Lohnprozente, der Senat nur auf den Haushalt. „Dem Hasen gleich wird in der Furche gelegen“, schimpfte Grottian, der nötige „radikale Perspektivwechsel“ fehle. Den lieferte der Professor deshalb gleich selbst. Sein Vorschlag: ein Gehaltsverzicht von 3 Prozent im gesamten öffentlichen Dienst, gestaffelt nach Einkommensklassen – 10 Prozent weniger für einen Senator, 5 für Studienräte, 1 bis 2 für die Krankenschwester. Das gesparte Geld solle zum Teil in die Etatsanierung fließen, zum Teil genutzt werden für „die Schaffung von Dienstleistungen, die wir in dieser Stadt brauchen“. In Bildungs- und Jugendeinrichtungen könnten so bis zu 20.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Grottians Donnerwetter sorgte für vereinzeltes Gemurmel im Saal, verhallte ansonsten aber ziemlich folgenlos. Die übrigen Diskutanten kehrten schleunigst in ihre gewohnten Furchen zurück und referierten die in den letzten Wochen eingeübten Positionen und Schuldzuweisungen.
Berlins Ver.di-Chefin Susanne Stumpenhusen warf dem Senat vor, nicht ernsthaft zu Verhandlungen bereit gewesen zu sein. Die Sparsumme habe bereits vor den Gesprächen festgestanden. Es sei nicht einzusehen, warum nur der öffentliche Dienst für die Schulden aufkommen solle, es aber gleichzeitig Einkommensmilliardäre gebe, die „keinen Pfennig Steuern“ zahlten. Im Übrigen erklärte sie sich für nicht zuständig: Die Berliner Gewerkschaften könnten nicht aus bundesweiten Tarifverträgen aussteigen, jede solche Vereinbarung habe daher „die Rechtsqualität eines Bierdeckels“.
Stefan Liebich, Berliner Partei- und Fraktionsvorsitzender der PDS, vertrat die Senatslinie und hielt dagegen: „Es bringt nichts, von allen Seiten an einer Decke zu ziehen, die zu kurz ist.“ Natürlich sei die PDS für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer – ein Vorschlag, dem auch Grottian heftig zustimmte. Wer aber glaube, so Liebich mit Blick auf die Gewerkschaften, dass die Vermögensteuer „ein Ersatz für Strukturdebatten ist, der irrt“. Berlin gebe fast alle Steuereinnahmen für Personal aus, deshalb müsse man auch darüber reden, wie man die „Kosten pro Stelle senken“ könne. Der Senat habe daher angeboten, gegen Lohnverzicht im öffentlichen Dienst einen „Einstellungskorridor“ für 7.000 junge Leute zu schaffen. Die Gewerkschaften hätten das abgelehnt.
Wie eingefahren die Diskussion ist, zeigte sich noch einmal, als ein Auszubildender eines Bezirksamts mit seiner Kritik an der „Besitzstandswahrung“ im öffentlichen Dienst für Unruhe sorgte. Er sei gerne bereit, auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu verzichten, wenn er dafür nach Ausbildungsende übernommen werde. Schließlich sei der öffentliche Dienst durch den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen schon privilegiert. Das wollte Stumpenhusen so natürlich nicht stehen lassen. „Dafür müssen manche Kollegen in Kauf nehmen, von Spandau bis nach Köpenick zur Arbeit zu fahren!“, rief sie dem jungen Mann entgegen. Da konnte der sonst so wortmächtige Peter Grottian nur noch den Kopf schütteln.
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