Tatzelnd zum Dauersieg

Die deutschen Rodlerinnen machen auch beim Weltcup in Calgary, was sie seit nunmehr fünf Jahren ununterbrochen machen: gewinnen. Die Konkurrenz ist davon ganz schön genervt – und frustriert

aus Calgary THOMAS BECKER

Der Unterschied steckt in den Fingerspitzen und hört auf die Namen Tatzeln, Paddles oder auch Krallen. Nicht länger als vier Millimeter dürfen die Spikes sein, mit denen Weltcuprodler beim Start ins Eis langen, um auf den ersten Metern Fahrt aufzunehmen. Wer hier Fehler macht, sich mit den Spikes-Handschuhen nicht ordentlich abdrückt, hat danach keine Chance mehr. Diese drei, vier Handstreiche sind es, die die Krallenträger von den Paddlern und Tatzlern unterscheiden, die schuld sind an einer denkwürdigen Siegesserie: Seit fünf Jahren und 55 Weltcup-, EM-, WM- und Olympia-Rennen sind deutsche Rennrodlerinnen ungeschlagen. Nach dem Dreifach-Erfolg zum Saisonauftakt in Park City sollte sich auch am Wochenende in Calgary nichts an diesem eisernen Gesetz ändern: Platz eins bis vier – Germany. Die chronische Siegerin Sylke Otto schaffte es erneut in die Überschrift des Calgary Herald, der einen „ottomatic“ Sieg gesehen hatte. Ein anderer Scherzbold sprach von einem deutschen Quartett, das einen Dreifachtriumph der Österreicherinnen verhindert hatte: Platz fünf bis sieben – Austria, eben hinter der Oberwiesenthalerin Otto, Barbara Niedernhuber, Anke Wischnewski sowie Silke Kraushaar. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Seit 1997 fahren sie hinterher: Österreich, Italien, USA, Kanada und all die anderen. Die Abstände zum Marktführer sind frustrierend: fünf Zehntelsekunden für die beste Nichtdeutsche – in einer Sportart, in der die Ergebnisse in Tausendstelsekunden gemessen werden, ein Unterschied wie zwischen Formel 1 und Tourenwagenmeisterschaft. Demütigend sind Wettkämpfe wie der vor einem Jahr in Lake Placid. Deutschlands erste Riege verzichtete auf den Weltcup, um in La Plagne eine interne Olympia-Ausscheidung zu fahren. Endlich Gelegenheit, einen undeutschen Sieger zu küren, dachte sich die Konkurrenz und rieb sich vorfreudig die Kufen. Es wurde natürlich nichts daraus: Team Deutschland II reiste an und gewann in Person von Sonja Wiedemann, Weltmeisterin 1999 und WM-Dritte 2000, im deutschen Edelkader nur noch gut genug fürs B-Team. Gemein auch die Episode bei der EM in Winterberg, wo die Deutschen Platz eins bis sieben belegten, obwohl pro Nation nur vier Starter erlaubt sind. Hinzu kam die Titelverteidigerin mit persönlichem Startrecht, doch auch die zwei Vorläuferinnen waren schneller als die versammelte internationale Konkurrenz.

Kein Wunder also, dass ein genervtes Augenrollen erntet, wer nach der schwarzrotgoldenen Dauerdominanz fragt. „Frustig ist es halt“, sagt Veronika Halter, die junge Österreicherin aus Muehlbach am Brenner, die als größten Erfolg bislang einen sechsten Platz zu Buche stehen hat. Warum die Nachbarn besser sind, weiß sie auch: „Die haben mehr Geld, mehr Trainer, besseres Material. Zum Beispiel die Tatzeln: Die haben ganz viele, ganz feine Spikes anstatt nur sieben wie wir. Und unsere brechen leichter ab. Unsere Techniker wollten die nachbauen, aber sie haben’s nicht geschafft.“ Am fehlenden Training könne es jedenfalls nicht liegen, glaubt Halter: „Ich trainiere jeden Tag.“ Wie fast alle Athleten aus Deutschland, Österreich und Italien gehört sie dem Heer an, ist finanziell also abgesichert.

So gut geht es anderen nicht. In Kanada gibt es nur für die dreißig populärsten Sportarten staatliche Förderung – keine Chance für Rodler. Kurzerhand schloss man sich mit den Bobfahrern zusammen – und landete immerhin auf Rang 22. Team USA besteht dagegen aus vier College-Studentinnen, die im Sommer im Seminar- statt im Kraftraum sitzen. Nur weil der Verband die Auserwählten unterstützt, zum Teil mit „Adopt an Athlete“-Programmen, können sie am Weltcup-Zirkus teilnehmen. Brenna Margol, 21, ist eine von ihnen. Vor zehn Jahren sah sie im Fernsehen die Olympia-Rennen von Albertville, beschloss, diese „Coolste aller Sportarten“ zu lernen, bewarb sich beim Verband, zog von St. Joseph, Michigan, hinaus in die Rodelwelt und fuhr die ersten Abfahrten auf einer Straße in Chicago. Seit vier Jahren fährt sie nun Weltcup, nie besser als als Sechste, ist durch die deutsche Übermacht „einerseits frustriert, andererseits aber noch mehr motiviert“. Sie baut auf den Faktor Erfahrung und darauf, dass die Deutschen ja irgendwann mal zu alt sein werden.

Sylke Otto, 33, redet zwar schon seit Jahren vom Heiraten und Kinderkriegen, doch bislang half auch ein demonstrativ öffentlicher Heiratsantrag nicht: Zwei Stunden nach ihrem Olympiasieg in Salt Lake City hielt der Auserwählte um ihre Hand an. Doch Sylke Otto fährt einfach weiter. Und gewinnt. Dank ihrer Krallen.