Es gibt drei Sozialdemokraten

Eineinhalb Jahre war Michael Müller neben Wowereit und Strieder nahezu unbekannt. Jetzt gewinnt der Fraktionsvorsitzende langsam an Statur – mit Kritik am Sparkurs

Genossen witzelten im vergangenen Jahr: „SPD heißt:Strieder Plant Das“

Beliebte Sozialdemokraten sind unbekannt. Dieser Satz klingt wie die Polemik eines steuererhöhungserzürnten Kanzlerimitators. Auf Michael Müller trifft er zu. „74 Prozent kennen diesen Politiker nicht“, hat das Meinungsforschungsinstitut Emnid herausgefunden und platziert Müller trotz ordentlicher Sympathiewerte nicht in der Promi-Skala, sondern unter der Nebenrubrik „weniger bekannte Politiker“. Wer ist Michael Müller?

Genau diese Frage war lange das Problem des 38-jährigen Vaters zweier Kinder aus Tempelhof. Als Fraktionschef der SPD im Abgeordnetenhaus hat er seit gut eineinhalb Jahren durchaus eine herausgehobene Position. Aber der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und der Parteichef und Multisenator Peter Strieder absorbierten die öffentliche Aufmerksamkeit nahzu vollständig. Erschwerend kommt hinzu, dass es auch im Bundestag einen Michael Müller (SPD) gibt, mit dem der Berliner Müller regelmäßig verwechselt wird. Vielleicht nicht mehr lange: Denn Müller sendet neuerdings auf allen Kanälen. Nicht Wowereit, sondern Müller verkündet gemeinsam mit dem PDS-Vorsitzenden Stefan Liebich den Gang in die Neuverschuldung angesichts dramatischer Steuereinbrüche. Nicht Strieder, sondern Müller empört sich als Erster über den CDU-Vorsitzenden Christoph Stölzl, den die Bundestagswahl an die letzten Jahre der Weimarer Republik erinnerte. Sogar dem Chef der Bundestagsfraktion und ehemaligem Generalsekretär Franz Müntefering widerspricht Müller öffentlich: Dessen These „weniger privater Konsum, mehr Staat“ kontert er keck mit dem Gegenteil: „Wir müssen alles tun, um mehr Konsum zu initiieren.“

In diesm Jahr beschränkte sich Wowereit auf die Senatsgeschäfte, und allein der Vorsitzende Strieder machte Parteipolitik – und zwar an allen Fronten: Von der Initiierung einer Parteireform bis zu umstrittenen Thesen zur Integrationspolitik. SPD heiße „Strieder Plant Das“ witzelten Genossen über nicht stattfindende Debatten. Öffentlich vernehmbar schimpften aber nur ausgewiesene Strieder-Kritiker wie Hans-Georg Lorenz: „In der Partei passiert nichts.“

Keine Neuigkeit ist, dass Strieder weniger beliebt als respektiert in seiner Partei ist. Nicht wenige hofften vor einigen Wochen, er werde die Landespolitik zugunsten eines Postens in der Wirtschaft aufgeben. Das war nur ein Gerücht. Aber: Strieders Position ist nicht mehr so stark, wie unmittelbar nach dem Machtwechsel. Im geschäftsführenden Landesvorstand herrscht Strieder unumschränkt, doch das Gremium ist schwach: Die ehemalige Senatorin Annette Fugmann-Heesing und die ehemalige Bundesministerin Christine Bergmann haben mehr Verdienste als Perspektiven. Der junge Andreas Matthae hat seinen Bundestagswahlkreis gegen den Grünen Hans-Christian Ströbele verloren und damit auch innerparteilich an Boden. Sven Vollrath – wie Matthae knapp über dreißig – arbeitet noch an seinem Standing. Klaus Wowereit blieb im vergangenen halben Jahr den Sitzungen des Gremiums fern, was offiziell mit den ebenfalls am Freitagmorgen stattfindenden Sitzungen des Bundesrates erklärt wird.

Immer mehr läuft in der SPD über die Vorsitzenden der großen Westberliner Kreise: vor allem über Michael Müller, der Tempelhof-Schöneberg vorsteht, und über Christian Gaebler aus Charlottenburg-Wilmersdorf, seinem Stellvertreter in der Fraktion. Dabei kommt Müller ein strategischer Vorteil zugute: Als Kreisfürst wie als Fraktionschef kann er den Unmut der Basis über die Sparpolitik des Senats aufnehmen und begrenzt artikulieren. Strieder hingegen wettert zwar auch ab und an gegen die im Finanzsenator personifizierte Sparpolitik, muss am Ende aber die durch Thilo Sarrazin vorbereiteten Senatsentscheidungen mittragen. Politisch ist Müller eher den jungen Pragmatikern zuzuordnen, Strieder hingegen gilt vielen Genossen immer noch als „linksverlässlich“.

ROBIN ALEXANDER